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Deutsch oder slawisch? | 303
Polin, die sich über ihr offensichtlich schon getötetes Kind beugt, und ruft ihr zu:
„Lernt die Überlegenheit unserer Kultur kennen, verdammte Slawen!“. Antisla-
wismus und unmenschliche Barbarei waren dergestalt in einer vernichtenden An-
klage zusammengefasst, die sich außerdem noch als anschlussfähig zu analogen
Gräuelbildern der westlichen Alliierten gegenüber Deutschland erwies.
Beide Kartenbeispiele waren bezeichnenderweise außerhalb des Herrschafts-
bereichs der Mittelmächte erschienen. Antideutsche Propagandakarten verbunden
mit einem offenen Bekenntnis zur Verbundenheit mit den Slawen jenseits der
Frontlinien waren unter den kriegsbedingt verschärften Zensurbedingungen ver-
ständlicher Weise weder im Deutschen Reich noch in Österreich-Ungarn erlaubt
und wurden dementsprechend presserechtlich verfolgt.9
So war den zuständigen Aufsichtsbehörden in Wien und Prag durchaus be-
kannt, dass es in der tschechischen Bevölkerung traditionsreiche und lebendige
russophile und proserbische Stimmungen gab. Das zeigte sich gleich zu Kriegs-
beginn, als es zu gelegentlichen Protesten und Unregelmäßigkeiten bei der Mobi-
lisierung tschechischer Soldaten und später vereinzelt auch zu Desertionen an der
Ostfront gekommen war.10
Dementsprechend nervös reagierten die zivilen und militärischen Aufsichts-
behörden auf die geringsten Anzeichen gemeinslawischer Sympathiekundgebun-
gen in der tschechischen Gesellschaft. Am 20. Mai 1916 meldete beispielsweise
die k. k. Polizeidirektion Prag, dass die Verbreitung einer bereits vor Kriegsbeginn
von dem bekannten tschechischen Grafiker Mikoláš Aleš entworfenen und ver-
breiteten Bildpostkarte mit dem Hussitengeneral Jan Žižka zu Pferd u.a. wegen
9 Vgl. zum Folgenden auch: Marek Rajch, „Polnische Presse unter preußischer
Militärzensur (1914–1916)“, in: Krieg und Literatur XII (2006), S. 105-112; Gustav
Spann, Zensur in Österreich während des I. Weltkrieges 1914–1918, Phil. Diss. Wien
1972; und in vergleichender Perspektive außerdem: Elisabeth Haid, Im Blickfeld zweier
Imperien, S. 54-63.
10 Siehe dazu die einschlägigen Dokumente in den vom Staatlichen Zentralarchiv in Prag
herausgegebenen Bänden: Sborník dokumentů k vnitřimu vývoji v českých zemích za
1.svetové války. 5 Bde. 1914–1918, Praha 1993–1997; zu den russophilen Stimmungen
in der tschechischen Gesellschaft s. Doubek, Česká politika a Rusko, S. 214-285; vor
einer Überbewertung solcher von Legenden umrankten Vorkommnisse warnt freilich
Richard Lein, Pflichterfüllung oder Hochverrat? Die tschechischen Soldaten Öster-
reich-Ungarns im Ersten Weltkrieg, Münster 2011, S. 417-621.
Bildspuren – Sprachspuren
Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Titel
- Bildspuren – Sprachspuren
- Untertitel
- Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Autoren
- Karin Almasy
- Heinrich Pfandl
- Herausgeber
- Eva Tropper
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4998-1
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 346
- Schlagwörter
- Postkarte, Mehrsprachigkeit, Habsburger Monarchie, Alltagsgeschichte, Kurznachrichtenträger, Alltagskommunikation, Fotografie, Untersteiermark, Mikrogeschichte, Eisenbahn, Tourismus
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen