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„Gegen die feindliche Fremdherrschaft“ | 323
lokalen nationalen Konfliktes der späten österreichischen Zeit. Letzteres galt ins-
besondere für jene Gebiete der ehemaligen Untersteiermark, welche schon seit den
1860er Jahren Schauplätze physischer, verbaler und juristischer Abrechnungen
zwischen den beiden konkurrierenden nationalen Lagern gewesen waren. Schon
Jahrzehnte vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs verbreiteten die sloweni-
schen und die deutschen ethnolinguistischen nationalen Aktivisten in den unter-
steirischen Dörfern, Märkten und Städtchen ihre jeweilige nationalistische Welt-
sicht und ritterten um die Herzen und Seelen der lokalen Bevölkerung. Im Zent-
rum ihrer Konflikte stand stets die Sprache. Die mitteleuropäische nationalistische
Weltsicht, die sich vom Beginn des 19. Jahrhunderts an etablierte und allmählich
ausbreitete, war nämlich genau von jener ethnolinguistischen Hypothese über
Sprache als jenem Kulturattribut bestimmt, mit dessen Hilfe es möglich sein sollte,
die ethnische bzw. nationale Zugehörigkeit jedes einzelnen objektiv definieren zu
können. So war in den nationalistischen Vorstellungen der späten österreichischen
Zeit ein Sprecher des Slowenischen unbedingt ein Slowene, ein Sprecher des
Deutschen hingegen ein Deutscher. All das bedeutet aber, dass sich nach dem Zer-
fall Österreich-Ungarns die postimperiale Rhetorik des Völkerkerkers schließlich
mit dem früheren Diskus des ethnosprachlichen Nationalismus deckte, demzu-
folge die Sprache nicht mehr nur als ein Mittel zur Kommunikation, sondern auch
als ethnischer Marker und daher indirekt auch als ein ‚nationales Heiligtum‘ ver-
standen wurde, von dem sich nur national schwache und abtrünnige Individuen
lossagen würden. In zwei- und mehrsprachigen Territorien bekamen so die alltäg-
lichen Praktiken sprachlichen Kommunizierens den Charakter eines fundamenta-
len politischen Problems. 8
8 Über den ethnolinguistischen Nationalismus vgl. Tomasz Kamusella, „The Normative
Isomorphism of Language, Nation and State“, in: Marcin Moskalewicz, Wojciech
Przybylski (Hg.), Understanding Central Europe (BASEES/Routledge Series on
Russian and East European Studies 115, Abingdon–New York 2017), S. 144-150;
sowie Tomasz Kamusella (Hg.), The Politics of Language and Nationalism in Modern
Central Europe, Basingstoke u.a. 2009. Über die Tätigkeit von slowenischen und deut-
schen nationalen Aktivisten, lokale nationalistische Konflikte und die Ausweitung na-
tionaler Identifikationen in der Untersteiermark in der Zeit zwischen der Mitte des 19.
Jahrhunderts und 1918 vgl. Janez Cvirn, Das „Festungsdreieck“: zur politischen Ori-
entierung der Deutschen in der Untersteiermark (1861-1914), Wien 2016; Filip Čuček,
Svoji k svojim: na poti k dokončni nacionalni razmejitvi na Spodnjem Štajerskem v 19.
stoletju, Ljubljana 2016; Karin Almasy, Wie aus Marburgern „Slowenen“ und „Deut-
sche“ wurden: ein Beispiel zur beginnenden nationalen Differenzierung in Zentraleu-
ropa zwischen 1848 und 1861, Bad Radkersburg, Graz 2014; Pieter M. Judson, Guar-
dians of the Nation: Activists on the Language Frontiers of Imperial Austria,
Bildspuren – Sprachspuren
Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Titel
- Bildspuren – Sprachspuren
- Untertitel
- Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Autoren
- Karin Almasy
- Heinrich Pfandl
- Herausgeber
- Eva Tropper
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4998-1
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 346
- Schlagwörter
- Postkarte, Mehrsprachigkeit, Habsburger Monarchie, Alltagsgeschichte, Kurznachrichtenträger, Alltagskommunikation, Fotografie, Untersteiermark, Mikrogeschichte, Eisenbahn, Tourismus
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen