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Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
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17 affEkt in dEr Gotik Man ist leicht versucht, angesichts der erstaunlichen Portale skandinavischer Stabkirchen (Abb. 1) oder französischer romanischer Kirchen mit dem Anthro- pologen Alfred Gell an ein „Verzaubern“ zu denken, an eine Art von Hypnose.9 In der wenig glücklichen Tradition europäischer Kunstkritik des späten 19. Jahr- hunderts wurde diese Wirkung mit dem Erklärungsmodell einer psychologisch begründbaren Transzendenz verknüpft.10 Ich wiederhole: Das Außergewöhnliche, Romantische, Charismatische, Bezaubernde ist nicht mein Anliegen. Bezauberung ist eine Art höherer Gewalt, die auf einen Empfänger einwirkt und seine rationalen Kapazitäten außer Gefecht setzt. Ich gehe dagegen von einem Übereinkommen aus, von einer gegenseitigen Verpflichtung. Rhetorische Überzeugung hat nichts mit Zauberei zu tun, sie setzt vielmehr eine Verbindung von Verstand und Emotion voraus, eine aktive und keine passive Einstellung gegenüber den Dingen. Regungen, Einstellungen oder Haltungen sind „Affekte“.11 Dabei stehen Affekte (affectus) Regungen und Empfindungen näher als dem, was als Emotion oder Lei- denschaft zu bezeichnen wäre. Ihr Verständnis wird erleichtert, wenn man sie im Zusammenhang mit der rhetorischen Praxis betrachtet, denn die Rhetoriklehre ist sich der Verbindung zwischen Emotion, Anteilnahme und Überzeugung bewusst und bedient sich ihrer. Kunst als eine Form öffentlicher Rede mag funktionieren, indem sie eine Stimmung erzeugt, aber ihr Ziel ist es letztlich, etwas wieder einzu- gliedern oder einzusetzen und vor allem zu überzeugen. Diese Differenzierung von Funktion und Ziel ist nützlich, gerät aber gern aus dem Blick. Ein Portal ist nicht nur eine Schwelle: Es ist ein exordium oder ein introitus, eine einleitende Aussage, die den rechten Ton oder die rechte Stimmung für das Folgende festlegt, ähnlich anzutreffen in einem Hochamt oder einer illuminierten liturgischen Handschrift.12 Der Betrachter soll zuerst in den Bann gezogen und günstig gestimmt werden, was Rhetoriker als captatio benevolentiae bezeichnen. Cicero etwa (Cic. inv. I, 20) sagt uns, dass ein exordium den Zuhörer benivolum, attentum, docilem – wohlwollend, aufmerksam, aufnahmebereit (wörtlich „belehrbar“) – machen will, ein Ziel, das auch in den mittelalterlichen artes praedicandi oder Predigerhandbüchern formu- liert wird.13 Dieses In-den-Bann-Ziehen setzt eine Art von Erregung voraus, die ei- nen Stimulus verlangt. So wie beim Aufschlagen der Eingangsseiten einer großfor- matigen illuminierten mittelalterlichen Handschrift das erste Aufblitzen von Gold, Mary Carruthers (Hg.): Rhetoric Beyond Words. Delight and Persuasion in the Arts of the Middle Ages. Cambridge 2010, S. 190–213. 9 Alfred Gell: The Technology of Enchantment and the Enchantment of Technology. In: Jeremy Coote / Anthony Shelton (Hg.): Anthropology, Art and Aesthetics. Oxford 1992, S. 40–63. 10 Wilhelm Worringer: Formprobleme der Gotik. München 1912, S. 48–54: „Transzendenta- lismus der gotischen Ausdruckswelt“, auch S. 73–81, 114–118 „Psychologie der Scholastik“. 11 Carruthers: Experience of Beauty (wie Anm. 3), S. 45–46. 12 Mary Carruthers: The Craft of Thought: Meditation, Rhetoric and the Making of Images, 400–1200. Cambridge 1998, S. 222–223. Eine liturgische Studie zu diesem The- ma bietet Margot Fassler: Liturgy and Sacred History in the Twelfth-Century Tympana at Chartres. In: Art Bulletin 73/3 (1993), S. 499–520. 13 Cicero: De inventione, I. 20 (übersetzt von Harry M. Hubbell). Cambridge (MA) 2006 (Loeb Classical Library 386), S. 40: Exordium est oratio animum auditoris idonee compa- rans ad reliquam dictionem; quod eveniet si eum benivolum, attentum, docilem confecerit. Zur ars praedicandi siehe Ameijeiras, Los rostros de las palabras (wie Anm. 3).
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Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
Titel
Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
Autor
Christine Beier
Herausgeber
Michaela Schuller-Juckes
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2020
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-21193-8
Abmessungen
18.5 x 27.8 cm
Seiten
290
Kategorien
Geschichte Chroniken
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