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Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
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27 affEkt in dEr Gotik Wir kommen hier zu einer zentralen Fragestellung der Geschichte von Emotionen und ihrer Darstellung. Bradwardine behandelt Emotionen wie Freude oder Trau- rigkeit wie Eigenschaften eines Bildes. Aber ein Kunstwerk, das kein Leben und damit auch kein inneres Leben besitzt – jedenfalls nicht für Rationalisten – kann keine derartigen Eigenschaften haben, und es kann auch nicht moralisch handeln. Freude, Fröhlichkeit, Trauer, Verzweiflung sind Aktionen und keine festen Zustän- de, wir schreiben sie Bildern zu. Das hat unsere vorhin geschilderte Begegnung in Fontevrault nahegelegt: Die guten und bösen Könige im Jüngsten Gericht leben Gefühle aus, dies freilich dauerhaft. Trotz scholastischer Klarheit über die Wesens- art der Affekte und die Vorzüge von Wohltätigkeit und Erbarmen des Einzelnen und untereinander, ist es noch ein weiter Weg herauszufinden, welche Leidenschaf- ten von dreidimensionalen Bildern kluger und törichter Jungfrauen wie jenen in Magdeburg oder Erfurt dargestellt werden können. Ausgangspunkt muss hier die Beschreibung in Matthäus 25,1–13 sein. Hier scheinen uns zunächst vielleicht Freu- de oder Hoffnung als Gegensätze von Traurigkeit oder eher noch Verzweiflung ent- gegenzutreten. Im weiten Spektrum von Freude oder Zufriedenheit im Sinne des Gegenteils von Verzweiflung mag etwas „irgendwie passen“, nur sollten wir diese Zustände als Handlungen verstehen – etwa „freudig sein“ als Gegensatz zu „ver- zweifeln“. Diese Handlungen haben Hinweisfunktion: Sie können auf einen Affekt hinweisen oder ihn hervorrufen, und sie können auch als Auslöser für biblische Reminiszenzen in Form von imagines verborum fungieren. Wir sehen aber sofort, dass in dieses Ratespiel um figurae durch die Betrachter eine nur ungenau einschätzbare Größe involviert ist, denn Hinweise oder Aussagen benötigen ein Gegenüber, einen Empfänger. Selbst wenn wir beurteilen können, welche Leidenschaften gezeigt sind, bleibt zu fragen, wie diese von den Betrach- tern aufgenommen wurden. Eine moderne psychologische Beschreibung dieses Austauschprozesses würde fast sicher von den Vorstellungen der Empathie und Sympathie ausgehen. Der Anblick einer weinenden oder trauernden Frau soll uns natürlicherweise und spontan zu ihr hinziehen, wie selbstverständlich. Das Problem ist, dass dies eben nicht selbstverständlich ist. Die historische Di- stanz zu den Werken stellt eine Schwierigkeit dar. Das Auslösen von Emotionen in Menschen führt nicht zwangsläufig dazu, sie brüderlicher oder mildtätiger zu stimmen. Empathie ist nicht zwangsläufig die bestimmende Voraussetzung für mo- ralisch positives Verhalten.38 Dieses Problem wird in der bekannten Diskussion in der Quaestio 94 im Anhang zu Teil 3 der Summa theologiae des Thomas von Aquin behandelt. Dort wird gefragt, ob die Seligen im Himmel oder die Sterblichen recht daran tun, beim Anblick der Höllenqualen der Verdammten entweder Mitleid oder Jubel zu empfinden.39 Thomas schließt seine Antwort mit der Feststellung ab, dass sie jubeln dürfen, wenn dies der Gerechtigkeit Gottes gilt. Entsprechend ist ein Jubel über die missliche Lage der Törichten, die üblicherweise auf die Seite der Ver- dammten gestellt werden, für die das Tor verschlossen ist und die in Ewigkeit trau- 38 Jesse Prinz: Against Empathy. In: Southern Journal of Philosophy 49/suppl. 1 (Spindel Supplement: Empathy and Ethics) (2011), S. 214–233; Paul Bloom: Against Empathy: the Case for Rational Compassion. London 2016. 39 Supplementum Tertiae Partis Summa Theologiae dans Sancti Thomae Aquinatis. Opera Omnia. Editio Leonina, Rome 1906, S. 226–227 (Qu. XCIV, art. III).
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Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
Titel
Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
Autor
Christine Beier
Herausgeber
Michaela Schuller-Juckes
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2020
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-21193-8
Abmessungen
18.5 x 27.8 cm
Seiten
290
Kategorien
Geschichte Chroniken
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