Web-Books
im Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Geschichte
Chroniken
Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
Seite - 30 -
  • Benutzer
  • Version
    • Vollversion
    • Textversion
  • Sprache
    • Deutsch
    • English - Englisch

Seite - 30 - in Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert

Bild der Seite - 30 -

Bild der Seite - 30 - in Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert

Text der Seite - 30 -

30 paul Binski erkennbare Zeichen belegt ist. Dabei wird auf der Suche nach dem Natürlichen, Echten übersehen, dass jede Wiedergabe von Affekten zwangsläufig konstruiert ist. Vernachlässigt wurde auch die Herkunft der christlichen Affektsprache oder Af- fektivität. Hinzu kommt, dass sich zunehmend die Erkenntnis durchsetzt, dass die „neue Emotionalität“ des Hochmittelalters zu großen Teilen auf den Texten spätan- tiker Rhetoriker basiert. Mit anderen Worten, sie ist um ein Vielfaches älter als das, was uns seit der Mitte des 20. Jahrhunderts als die gefühlsbetonte, realistische Praxis speziell der mittelalterlichen Kunst präsentiert wird. Zweitens ist die Vorstellung, dass die mit dem gotischen Pathos verknüpften Veränderungen von einer vorangegangenen Neuausrichtung des Empfindungsver- mögens verursacht wurden – das sich zum Beispiel nach Southern in einer ge- nerellen Veränderung der Gesinnung und des spirituellen Antriebs zeigte – ein Zirkelschluss. Der Charakter der gotischen Kunst wird mit einem sentiment re- ligieux erklärt, den man dann in den Werken wiederfinde, wie F. P. Pickering in seiner grundlegenden Untersuchung zu Textquellen über Kreuzigungsdarstellun- gen anmerkt: Die Entwicklung der Emotionen könne nicht zugleich Ursache und Ergebnis dessen sein, was wir in der Kunst beobachten.44 Am Realismus orientierte Theorien über die „neue Emotionalität“ im späten Mittelalter laufen immer Ge- fahr, zu vage zu bleiben, intuitiv zu argumentieren oder, bei aller „realistischen“ Ausrichtung, einer unklaren Vorstellung vom Wesen des Realismus selbst zum Op- fer zu fallen. Sie können im Übrigen auch nicht begründen, warum viele Elemente des „Affective Turn“ schon lange vor der Gotik in den Schriften frühchristlicher Theologen und Rhetoriker auftauchen.45 In methodischer Hinsicht muss darauf hingewiesen werden, dass die Kraft rhe- torischer Stilmittel in ihrer Kunstfertigkeit mit keinem der möglichen Komplexe von Wiedergabekonventionen einen ursächlichen Zusammenhang aufweist. Die Vorstellung von Affekt als einer absichtsvoll auf etwas ausgerichteten Haltung setzt ein Agieren sowohl auf der Seite des Objekts als auch des betrachtenden Subjekts voraus. Es ist nützlich, zwischen dem Agieren von Objekt und Subjekt zu unter- scheiden. Das hilft dabei, zu verstehen, wie Bilder, die wir als farb- und ausdrucks- los empfinden, eine tragende Rolle in der mittelalterlichen religiösen Anschauung und Andacht spielen konnten und demnach eine entsprechende Wirkung besessen haben müssen, für die sie geschaffen worden waren. Ein Beispiel sind Meditations- oder Andachtsbilder mit nur wenigen hinweisenden Beigaben, die nichtssagend wirken, aber auf die dennoch intensive Leidenschaften und Betrachtungen proji- ziert werden konnten. Charakteristisch dafür sind Bilder von Christi Antlitz, wie jenes, das um 1250 von dem englischen Künstlermönch Matthaeus Parisiensis in St. Albans entworfen wurde.46 Man kann sagen, je allgemeiner in seiner inhaltli- 44 Southern, Making of the Middle Ages (wie Anm. 42), S. 211–212; dagegen Frederick P. Pickering: Literature & Art in the Middle Ages. Coral Gables (FLA) 1970, S. 223–224. 45 Pickering, Literature & Art (wie Anm. 42), S. 245–246, 275–276, 282–284; Fulton, Judg- ment to Passion (wie Anm. 42), S. 216–218; Mary A. Edsall: The Arma Christi before the Arma Christi: Rhetorics of the Passion in Late Antiquity and the Early Middle Ages. In: Andrea Denny-Brown / Lisa H. Cooper (Hg.): Arma Christi: Objects, Representation, and Devotional Practice in Medieval and Early Modern Culture. Burlington VT 2014, S. 21–52. 46 Paul Binski: The Faces of Christ in Matthew Paris’s Chronica Majora. In: Jeffrey F. Ham-
zurück zum  Buch Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert"
Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
Titel
Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
Autor
Christine Beier
Herausgeber
Michaela Schuller-Juckes
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2020
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-21193-8
Abmessungen
18.5 x 27.8 cm
Seiten
290
Kategorien
Geschichte Chroniken
Web-Books
Bibliothek
Datenschutz
Impressum
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert