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michaEl Viktor schwarz
Zackenstil des Südens: Zur Höllenlandschaft im
Florentiner Baptisterium, ihren Voraussetzungen
und ihrer Rezeption
Lo imperador del doloroso regno
Wenn Dis, der Luzifer in Dantes Inferno (XXXIV, 19–69), sowohl mit dem Luzifer
im Mosaik des Florentiner Baptisteriums (wie die einen sagen)1 als auch mit dem
Luzifer in der Visio Tnugdali (wie andere feststellen)2 markante, doch nicht durch-
gängig dieselben Merkmale teilt, so lässt sich das erklären: Sowohl der Dichter für
das Personal der Commedia als auch der Maler für den Entwurf des Mosaikbildes
(Abb. 1) bedienten sich am Tnugdal-Bericht,3 aber Dante hatte, als er sich mit dem
Text befasste, schon das Mosaik vor Augen und entwickelte die Figur nicht nur aus
dem Text, sondern auch mit Blick auf das Bild weiter.
Der Entwerfer des Bildes hatte von Tnugdals Beschreibung erstens aufgegriffen,
dass Luzifer auf einer brennenden Esse platziert ist (super cratem ferream suppositis
ardentibus prunis)4. Zweitens folgte er dem Text in der Riesengröße der Figur, die
den Bildmaßstab sprengt und arbeitstechnisch nicht leicht zu realisieren war: Sechs
Gerüstböden brauchte es zu ihrer Ausführung.5 Drittens ist der Mosaik-Luzifer
gleich dem, den Tnugdal gesehen haben wollte, an der Bestrafung der Seelen direkt
beteiligt, indem er sie packt und verschlingt. Auf solche Weise quält er mehr Seelen
und tut es effizienter als alle seine Dämonen – dies im Gegensatz zu den älteren
1 Zum Beispiel: Ernest Hatch Wilkins: Dante and the Mosaics in His Bel San Giovanni.
In: Speculum 2 (1927), S. 1–10. Barbara Reynolds: Dante: The Poet, the Political Thin-
ker, the Man. London / New York 2006, S. 227–233.
2 Zum Beispiel: Rudolf Palgen: Die Visio Tnugdali in der Göttlichen Komödie. In: ders.:
Dantes Luzifer: Grundzüge einer Entstehungsgeschichte der Komödie Dantes. Mün-
chen 1969, S. 58–70. Jeffrey Burton Russell: Lucifer: The Devil in the Middle Ages. Itha-
ca / New York 1984, S. 214. Unzutreffend ist allerdings, wenn Gmelin die drei Gesichter
von Dantes Luzifer auf Tnugdal zurückführt: Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie,
hg. von Hermann Gmelin, Kommentar 1. Teil: Die Hölle. Stuttgart 1954, S. 483. Nicht
weiterführend scheint es mir, die im Mittelalter entwickelten Teufelsvorstellungen in
möglichster Vollständigkeit auf Dantes Text zu beziehen: Laura Pasquini: La rappresen-
tazione di Lucifero in Dante e nell’iconografia medievale. In: Il mondo errante: Dante
fra letteratura, eresia e storia. Atti del Convegno internazionale di Studio, hg. von Marco
Veglia u. a., Spoleto 2013, S. 267–288.
3 Visio Tnugdali lateinisch und altdeutsch, hg. von Albrecht Wagner, Erlangen 1882, bes.
S. 35–37.
4 Visio Tnugdali (zit. Anm. 3), S. 36.
5 Michael Viktor Schwarz: Die Mosaiken des Baptisteriums in Florenz: Drei Studien zur
Florentiner Kunstgeschichte. Köln u. a. 1997, S. 150, Abb. 169.
Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
- Titel
- Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
- Autor
- Christine Beier
- Herausgeber
- Michaela Schuller-Juckes
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21193-8
- Abmessungen
- 18.5 x 27.8 cm
- Seiten
- 290
- Kategorien
- Geschichte Chroniken