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Höllenlandschaft in den Très Riches Heures des Herzogs von Berry (fol. 108r) und
mindestens einem weiteren Stundenbuch des 15. Jahrhunderts wieder, sowie bei
Stephan Lochner und den Altniederländern. Spektakulär formatfüllend tritt sie bei
Hieronymus Bosch im Wiener Triptychon auf, um dann, von der Bruegel-Familie
weitergereicht (Pieter d. Ä. und Jan d. Ä.), bis in die Malerei des Barock aktuell zu
bleiben.33
Eine Antwort auf das Mosaik dürfte auch die Aufführung von 1304 gewesen
sein, die Giovanni Villani in seiner Chronik (Kap. 20) als etwas Neues im Rahmen
der Florentiner Calendimaggio-Feste beschreibt:34 „Novelle dell’altro mondo“ – wer
immer solcher teilhaftig werden wolle, solle sich am folgenden Tag auf dem Ponte
alla Carraia oder am Arno-Ufer einfinden, so gab das Festkomitee am 30. April be-
kannt. Am nächsten Tag war auf einer im Fluss schwimmenden Bühne, untermalt
von Schmerzensschreien, das Inferno zu sehen mit seinen Feuern, Teufeln und ge-
marterten nackten Seelen – simultan inszeniert, so darf man aus Villanis Wortlaut
schließen. Die Frage liegt nahe, welchen Status diese Aufführung hatte oder haben
sollte. Da es keinen geistlichen Rahmen gab, kommt eigentlich nur eine Travestie
oder Parodie in Frage. Offen bleibt, worüber man sich lustig machte: Über die
pastorale Drohgebärde im Baptisterium, die sich im Lauf der Jahrzehnte verbraucht
haben mag; über den Teufel und seine Dämonen, vor denen sich die kirchentreuen
Christen anders als die Häretiker und Nicht-Christen geschützt fühlen durften;
oder über die verdammten Seelen, deren Folterstrafen man als gerechtfertigt, wenn
nicht noch milde ansehen konnte.35 Wäre Dante nicht schon aus Florenz verbannt
gewesen, würde die Vorführung mit ihrem Spektrum von Deutungsmöglichkeiten
wohl regelmäßig als Quelle für die Commedia genannt.
Insgesamt wirkte das Mosaik des Baptisteriums überall dort, wo Dantes Dich-
tung (noch) nicht das Bild vom Jenseits beherrschte. Das war erstens in Italien der
Fall, bevor der Text der Commedia bekannt wurde (das Inferno zirkulierte kaum vor
1315), und zweitens jenseits der Alpen, wo das Gedicht erst durch die Romantik
breite Aufmerksamkeit erhielt.36 Demnach hat die visuelle Höllenkonzeption nicht
nur zur literarischen Fiktion Dantes beigetragen, sondern auch eine eigene, simul-
tan und gesamtheitlich statt linear oder partikular geprägte Vorstellungstradition
von vergleichbar großem Einfluss begründet – Vorgänger, Vorbild und Alternative
zu Dantes Darstellung zugleich.
33 Die Miniatur der Très Riches Heures zeigt in einer Höllenlandschaft Tnugdals Luzifer.
Für eine Beziehung zum Florentiner Mosaik spricht das Motiv der Seelen, die von Teu-
feln über den Schultern herumgetragenen werden. Bei der zweiten genannten Miniatur
handelt es sich um London, Victoria & Albert Museum, Ms. Salting 1121, fol. 153r. Pieter
Bruegels Beitrag ist die „Dulle Griet“. Zu Jans Höllenbildern: Klaus Ertz: Jan Brueghel
der Ältere (1568–1625). Die Gemälde mit kritischem Oeuvrekatalog. Köln 1979, S. 116–
131.
34 Croniche di Giovanni, Matteo e Filippo Villani secondo le migliori stampe, Bd. 1, Triest
1857, S. 200.
35 Vgl. Thomas von Aquin: Summa Theologiae, Supplementum Tertiae Partis, quaestio 94
(Opera Omnia, Editio Leonina, Tomus XII, Rom 1906, 226 f.)
36 August Buck: Die italienische Literatur im Zeitalter Dantes und am Übergang vom Mit-
telalter zur Renaissance. Heidelberg 1987 (Grundriss der romanischen Literaturen des
Mittelalters X, 1), S. 29–31; Robert Hollander: Dante and his commentators. In: The
Cambridge Companion to Dante, hg. von Rachel Jacoff, Cambridge 22007, S. 270–280.
Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
- Titel
- Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
- Autor
- Christine Beier
- Herausgeber
- Michaela Schuller-Juckes
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21193-8
- Abmessungen
- 18.5 x 27.8 cm
- Seiten
- 290
- Kategorien
- Geschichte Chroniken