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das wEinGartEnEr BErthold-sakramEntar
verschließen Schnitte, die nie weit in den Bereich der Miniatur hineinragen. Im
Kommentarband des Faksimiles beschreibt William Voelkle die Pergamentqualität
als schlecht, und vermutet, dass die Schnitte zur Entspannung des blasenartig ver-
worfenen Pergaments angebracht worden seien.54 Diese Deutung wurde zuletzt von
Christine Sciacca weiter ausgeführt.55 Sie zeigt kunstvoll ausgeführte Ziernähte und
Lochverstopfungen in einer Gruppe von Handschriften aus Engelberg, Interlaken
und Weingarten selbst, die frühesten aus der Mitte des 12. Jahrhunderts.56 Geflickt
wurden nicht nur die üblichen herstellungsbedingten Löcher und Risse, sondern,
so schreibt sie, auch Verwerfungen durch unterschiedliche Spannungsverhältnisse
etwa entlang der Rückenlinie der Tierhaut oder sogar durch Veränderungen der hy-
groskopischen Struktur nach Auftrag von Wasserfarben. Dass vor der Bindung re-
pariert wurde, belegen einige durch den Bundbereich laufende Nähte, was beiläufig
die Frage aufwirft, ob wirklich mitten im Buchherstellungsprozess hauseigene oder
assoziierte Nonnen zur Verfügung standen, um die traditionell als Frauenarbeit
(12.9.2019: Astrid Breith, Thomas Csanády, Christine Jakobi-Mirwald) vgl. die vorläufige
zweisprachige Terminologie der Nähte: https://jakobi-mirwald.de/onewebmedia/Termi-
nologie%20Pergamentn%C3%A4hte%20CJM.pdf (aufgerufen 17.3.2020). Astrid Breith
/ Thomas Csanády / Christine Jakobi-Mirwald: Pergamentnähte in mittelalterlichen
Handschriften. Ein Tagungsbericht. In: Christina Köstner-Pemsel / Elisabeth Stadler /
Markus Stumpf (Hg.): Künstliche Intelligenz und Bibliotheken, 34. Österreichischer Bi-
bliothekartag Graz, 10. bis 13. September 2019, Graz 2020, S. 382–389 (DOI: https://doi.
org/10.25364/guv.2020.voebs15.28) sowie in: Tracing Written Heritage in a Digital Age /
Auf den Spuren schriftlichen Kulturerbes im digitalen Zeitalter, hg. von Ephrem A. Ishac
/ Thomas Csanády / Theresa Zammit Lupi, Wiesbaden (= Festschrift Erich Renhart).
54 Voelkle in: Das Berthold-Sakramentar 2013–2014 (zit. Anm. 10), S. 16.
55 Vor allem in Süddeutschland, der Schweiz und Österreich (Engelberg, Einsiedeln, Wein-
garten, Göttweig, Admont, Seckau) treten aufwendige bunte Ziernähte auf. Funktion,
Materialität, Technik, Herstellungsablauf und Hersteller sind in der Forschung erst sel-
ten angeklungen. Vgl. Christine Sciacca: Stitches, Sutures, and Seams: „Embroidered“
Parchment Repairs in Medieval Manuscripts. In: Medieval Clothing and Textiles. Vol. 6,
hg. von Robin Netherton / Gale R. Owen-Crocker, Woodbridge 2010, S. 57–92, über
Weingarten S. 71–81 (mit besonderem Schwerpunkt auf dem Hainricus-Sacrista-Gra-
duale, dem Gegenstand von Sciaccas Dissertation [zit. Anm. 13]. – Irmgard Trummler:
Reparatur oder Zierde – Stickereien in romanischen Seckauer Handschriften. In: Libri
Seccovienses. Studien zur Bibliothek des Augustiner Chorherrenstiftes Seckau. Hg. von
Thomas Csanády / Erich Renhart. Graz 2018, S. 179–186. – Thomas Csanády: Von rohen
und kunstvollen Stichen. Pergamentvernähungen an mittelalterlichen Handschriften
aus Seckau. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Buchforschung in Österreich (2019),
H. 1, S. 7–19.
56 Vgl. Sciacca, The Gradual (zit. Anm. 13), Tabelle im Anhang mit Auflistung aller
Handschriften. Aus Engelberg nennt sie die Frowin-Bibel (Engelberg, Stiftsbibliothek,
Cod. 3–5), ferner die Engelberger Codices 16, 22, 46, 47 und 1008. Aus Weingarten: New
York, The Morgan Library & Museum, MS M. 645, Stuttgart, Württembergische Lan-
desbibliothek, HB I 236, HB I 240, HB I 55, Fulda, Hochschul- und Landesbibliothek,
Aa 57 (alle Mitte bis zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts), die beiden Prachtsakramentare
Morgan Library MS M. 710 und 711 sowie, beide mit Ausstattung des Berthold-Meis-
ters, Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, HB II 46 und New York, Public Li-
brary, Spencer Collection, Ms. 1. Die zitierten Handschriften aus Interlaken sind später
entstanden (am frühesten: Bern, Burgerbibliothek, Cod. 524A, zweite Hälfte 14. Jahr-
hundert).
Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
- Titel
- Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
- Autor
- Christine Beier
- Herausgeber
- Michaela Schuller-Juckes
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21193-8
- Abmessungen
- 18.5 x 27.8 cm
- Seiten
- 290
- Kategorien
- Geschichte Chroniken