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Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
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Seite - 87 - in Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert

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87 das wEinGartEnEr BErthold-sakramEntar foll. 39 50, 59, 78). Lochnähte und angeflickte Stellen kennt jeder, der mit mittelal- terlichen Büchern arbeitet. „Entspannungsnähte“ wie die von Voelkle und Sciacca postulierten sind mir dagegen unbekannt, zumal im Skriptorium von Weingarten vor der Zeit um 1200, und auch Frank M. Bischoff kennt sie nicht.59 Seine For- schungen sprechen vielmehr dagegen, dass für hochrangige Bücher sehr schadhaf- tes Pergament verwendet wurde.60 Warum ein seit fast anderthalb Jahrhunderten effizient arbeitendes Skriptorium plötzlich für seine Prachtcodices nur noch man- gelhaftes Pergament zur Verfügung gehabt bzw. nicht gewusst haben soll, wie man es angemessen bemalt, lässt sich auch, bei entsprechender Datierung, mit einer aus der Brandkatastrophe resultierenden Materialknappheit nur unzureichend begrün- den. Für prachtvolle Goldeinbände waren schließlich auch die Mittel da. Die Deutung für dieses sehr auffällige Phänomen muss anders verlaufen, und die schon früher von mir vorgetragene Interpretation wird bekräftigt durch seither publizierte Befunde von Pergamentnähten aus dem Alpenraum mit sehr geringer funktionaler und vorrangig ästhetischer Wirkung (Abb. 4–8), letztere mitunter mit Entsprechungen in (Abb. 9) oder Parallelen zu gemalter Ausstattung (Abb. 10).61 59 Frank M. Bischoff (Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Duisburg) danke ich für eine neuerliche briefliche Auskunft und Bestätigung bereits früher ausgesprochener Beobach- tungen. 60 In seinen Forschungen konnte Bischoff ganz im Gegenteil an vielen Stellen nachweisen, dass man für Miniaturen gezielt auf besseres, stärkeres Pergament zurückgegriffen und dies auch in die Lagenstruktur integriert hatte, vgl. zum Beispiel Frank M. Bischoff: Me- thoden der Lagenbeschreibung. In: Scriptorium 46 (1992), S. 3–27. – Ders.: Pergament- dicke und Lagenordnung. Beobachtungen zur Herstellungstechnik Helmarshausener Evangeliare des 11. und 12. Jahrhunderts. In: Peter Rück (Hg.): Pergament. Sigmaringen 1991, S. 160–224. – Ders.: Unterwegs. Statistik und Datenverarbeitung in den Histori- schen Hilfswissenschaften. In: Peter Rück (Hg.): Mabillons Spur. Zweiundzwanzig Mis- zellen aus dem Fachgebiet für Historische Hilfswissenschaften der Philipps-Universität Marburg zum 80. Geburtstag von Walter Heinemeyer, Marburg 1992, S. 23–38. 61 Im Kloster Engelberg in der Zentralschweiz wurden häufig am äußeren und unteren Blattrand Pergamentstücke mit enggeführten Stoßnähten mit gezacktem Kontur in bunten Seidenfäden angesetzt, offenbar um Unregelmäßigkeiten durch bis zum Rand ausgenutzte Tierhäute auszugleichen (Abb. 7, 8). Völlig frei von Zweck ist die im gan- zen Alpenraum verbreitete Gepflogenheit, Pergamentlöcher mit „gehäkelt“ wirkenden Nadelbindearbeiten auszufüllen, die im abgebildeten Beispiel einen farblichen und for- malen Bezug zu einem medaillonartigen Fleuronnée-Element zeigt (Abb. 9, ich danke Christine Beier für den Hinweis). Freilich stellt sich hier wie oft die Frage nach der zeitli- chen Abfolge, ebenfalls bei der gelegentlich beobachteten Gepflogenheit, unansehnliche Pergamenternähte herauszuschneiden und durch hohlsaumartige Schlingsticharbeiten zu ersetzen (zum Beispiel in Aarau, Kantonsbibliothek, Ms. Wett F 9, 14. Jahrhundert). Vollends mutwillig wirkt schließlich der rund um den Schriftspiegel abgeschnittene und wieder in bunter Stoßnaht angesetzte Randbereich einer Zwiefaltener Handschrift des 12. Jahrhunderts (Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. Hist. 2° 411, fol. 57v; ich danke Astrid Breith für den Hinweis). – Im Zusammenhang mit den radial verlaufenden Nähten im Berthold-Sakramentar verwies Siegfried Drescher (Hamburg) auf die etwas jüngere englische Gulbenkian-Apokalypse (Lissabon, Museu de Fundação Calouste Gulbenkian, s. n., zweite Hälfte 13. Jahrhundert), deren diagonale, auch als „prolongements à l’italienne“ oder „italianate shooters“ bekannten kompakten Fleu- ronnée-Ausläufer (vgl. ein etwa gleichzeitiges französisches Beispiel, Abb. 10) eine auf- fällige ästhetische Parallele darstellen. – Zu der Beziehung zwischen Miniaturen und Nadelarbeiten inner- und außerhalb von Handschriften vgl. demnächst: Marina Ber- Abb. 4: wie Abb. 2, S. 93: Perga- menternaht im Randbereich des Pergaments, teilweise aufgegan- gen, überarbeitet Abb. 5: wie Abb. 2, S. 660: nach- träglich angesetztes Pergament- stück, mit Ziernaht Abb. 6: wie Abb. 2, S. 171: nach- träglich eingesetztes Pergament- stück, mit Ziernähten
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Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
Titel
Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
Autor
Christine Beier
Herausgeber
Michaela Schuller-Juckes
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2020
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-21193-8
Abmessungen
18.5 x 27.8 cm
Seiten
290
Kategorien
Geschichte Chroniken
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