Seite - 201 - in Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
Bild der Seite - 201 -
Text der Seite - 201 -
201
daVid Ganz
Distanz und Nähe des Heiligen
Rezeptionsangebote des Hornplatteneinbands,
am Beispiel des Bamberger Psalters
Über viele Jahrhunderte gaben mittelalterliche Bücher schon durch ihr Äußeres zu
erkennen, dass sie zwei verschiedenen Objektkategorien angehörten: Die eine, zahlen-
mäßig überwiegende Gruppe bildeten die Bibliotheksbücher, deren Deckel mit Leder
überzogen waren. Sie dienten der Lektüre von geistlichen, wissenschaftlichen oder
literarischen Texten und wurden in den Truhen oder Schränken von Bibliotheken auf-
bewahrt, die in Klöstern, in Kathedralen oder am Hof von Herrschern angesiedelt wa-
ren. Die zweite, sehr viel kleinere Gruppe bestand aus den Schatzbüchern, die man in
extrem kostbare Hüllen aus Gold und Silber, Edelsteinen und Emails, Elfenbein und
Seidenstoffen steckte. Diese Prachthandschriften waren ausschließlich sakralen Inhalts
und für den Gebrauch bei der Liturgie bestimmt. Gemeinsam mit den anderen Ob-
jekten, wie Altargerät, Reliquiaren, Gewändern und Textilien bildeten sie den Schatz
eines Klosters, einer Kathedrale oder Hofkapelle und wurden in gesicherten Räumen
verwahrt.1 Im Hochmittelalter änderte sich der Zugang zu Büchern fundamental: Es
wurde mehr und anderes gelesen, Studienliteratur etwa, die an den Ausbildungsstät-
ten der Kathedralschulen und jungen Universitäten benötigt wurde, Texte, die der
privaten Frömmigkeitspraxis dienten wie der Psalter, oder Werke der Dichtung.2 Ver-
änderungen im Buchgebrauch, im Buchbesitz und in der Buchproduktion gingen
dabei Hand in Hand. Dies hatte auch zur Folge, dass die alte Dichotomie unter den
Buchhüllen in Bewegung kam: Die ledernen Überzüge der Bibliotheksbände konnten
nun durch den Gebrauch von Blindstempeln zu anspruchsvollen ornamentalen und
manchmal sogar figürlichen Kompositionen ausgestaltet werden.3 Dagegen begnügte
man sich für die zentralen Bücher der Messliturgie oft mit günstigen Email-Einbän-
den in Grubenschmelztechnik, die in ihrem seriellen Einheitsdesign nur noch den
Anschein dessen vermittelten, was die älteren Prachteinbände gewesen waren.4 Ganz
neue Wege der Gestaltung von Buchhüllen wurden dagegen für die privat genutzten
1 Vgl. David Ganz: Buch-Gewänder. Prachteinbände im Mittelalter. Berlin 2015, S. 227–
228; ders.: Exzess der Materialität. Prachteinbände im Mittelalter. In: Codex und Ma-
terial, hg. von Patrizia Carmassi / Gia Toussaint, Wiesbaden 2018, S. 179–214, hier:
S. 180–182.
2 Vgl. den Überblick in Christian Gastgeber: Literatur und Wissenschaft im Spiegel der
handschriftlichen Überlieferung. In: Romanik, hg. von Andreas Fingernagel, Graz 2007
(Geschichte der Buchkultur 4/1), S. 145–288.
3 Vgl. Andreas Fingernagel: Der romanische Bucheinband. In: Fingernagel, Romanik (zit.
Anm. 2), S. 355–408, hier: S. 365–372.
4 Vgl. ebd., S. 390–394. Siehe auch die Beispiele bei Frauke Steenbock: Der kirchliche
Prachteinband im frühen Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Beginn der Gotik.
Berlin 1965, S. 200–202, Nr. 101–102, S. 223–227, Nr. 122–127.
Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
- Titel
- Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
- Autor
- Christine Beier
- Herausgeber
- Michaela Schuller-Juckes
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21193-8
- Abmessungen
- 18.5 x 27.8 cm
- Seiten
- 290
- Kategorien
- Geschichte Chroniken