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3 Umwelt in Gesellschaft, Politik & Recht
-historiker dem Wahrnehmungswandel nachgehen, erforschen sie Zusammenhänge
zwischen Technik, Wirtschaft, Wissenschaft und Natur (Winiwarter 2013).
Umweltgeschichte zeigt den Wandel von Bewertungen. Sehr wahrscheinlich werden
sich auch heutige Bewertungen ändern. Was aktuell als gut gilt, mag in einem Jahrzehnt
schockierend sein. Was wir heute für schlecht halten, könnte künftig positiv bewer-
tet werden. Wir sollten also nicht allzu sicher sein, recht zu haben (Winiwarter 2013).
Darin liegt eine Leistung umwelthistorischer Arbeit: Sie ruft zur Bescheidenheit auf,
zu einem Auftreten als Expertin oder Experte, der/dem die prinzipielle Unsicherheit
und Vorläufigkeit selbst der besten wissenschaftlichen Studie bewusst ist.
3.4.6 Späte Lehren aus frühen Warnungen
Die Europäische Umweltagentur (EEA) veröffentlichte in den Jahren 2001 und 2013
zwei bemerkenswerte Berichte. Darin werden Fälle von Umweltverschmutzung und
anderen Umweltschäden vorgestellt, bei denen aus sehr frühen Warnungen erst sehr
spät Lehren gezogen wurden. Die Beispiele reichen von DDT über Quecksilber bis hin
zu Tabak und Beryllium, das in der Rüstungsindustrie eine wichtige Rolle spielt. Eines
sei kurz herausgegriffen, das feuerfeste Wundermaterial Asbest (siehe Fallbeispiel 3.4.2).
Fallbeispiel 3.4.2: Asbest als Beispiel für späte Lehren aus frühen Warnungen
(EEA 2001)
Feuer war eine der häufigsten Todesursachen in einer zunehmend urbanisierten Welt, in der immer
mehr Menschen in brennbaren Gebäuden lebten und Zeit in öffentlichen Einrichtungen verbrachten.
Der Großbrand von 1903 in Chicago, bei dem im Iroquois Theatre 602 Besucher verbrannten, Feuer
in Hotels, Textilfabriken, Schulen und Gefängnissen mit jeweils mehreren Hundert Toten erforderten
eine gesellschaftliche Reaktion. Eine Lösung fand man in der Technologie: Das feuerfeste Material
Asbest wurde zur Standardlösung. Wie so viele technische Entwicklungen wurde auch die Verwen-
dung von Asbest im Zweiten Weltkrieg beschleunigt. Der Brandschutz von Schiffen war ein Schwer-
punkt im Schiffbau. Das amerikanische Verteidigungsministerium stufte Ende 1939 die Mineralfaser
als „kritisches Material“ ein. Gesundheitliche Probleme traten zuerst in den Asbestfabriken auf, die
englische Arbeiterin Nellie Kershaw (1891–1924) erlangte traurige Berühmtheit als erstes durch Autopsie
bestätigtes Opfer der Lungenkrankheit Asbestose. Die Untersuchung ihres Falles führte erst in den
1930er-Jahren zu arbeitsrechtlichen Regelungen, doch hatte es bereits in den 1890er-Jahren War-
nungen gegeben. Die Fabrikinspektorin Lucy Deane Streatfeild war eine der Ersten, die die Symptome
genau beschrieb, mit der Härte und Struktur der feinen Fasern in Beziehung setzte und damit im Grunde
den heutigen Wissensstand vorwegnahm. Ihre Warnungen verhallten ungehört. Auch das französische
Gewerbeaufsichtsamt meldete bereits Anfang des 20. Jahrhunderts 50 Todesfälle durch Lungenerkran-
kungen bei weiblichen Asbest-Textilarbeitern (Auribault 1906). Doch Asbest wurde und wird weiterhin
abgebaut und verwendet. Zwar haben mehr als 50 Länder, darunter das Vereinigte Königreich,
Australien und alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die Verwendung von Asbest verboten,
aber die USA importieren und verwenden weiterhin Asbest, ohne Pläne für strengere Vorschriften zu
haben. Asbestprobleme treten immer dann auf, wenn verbauter Asbest an die Oberfläche gelangt. Der
mit Asbest hergestellte Eternit ist nach wie vor auf Dächern zu finden, in Bremsbelägen, Kupplungen,
Umwelt- und Bioressourcenmanagement für eine nachhaltige Zukunftsgestaltung
- Titel
- Umwelt- und Bioressourcenmanagement für eine nachhaltige Zukunftsgestaltung
- Autoren
- Erwin Schmid
- Tobias Pröll
- Verlag
- Springer Spektrum
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-662-60435-9
- Abmessungen
- 17.3 x 24.6 cm
- Seiten
- 288
- Schlagwörter
- Umweltmanagement, Bioressourcen, Nachhaltigkeit, Sustainability, Universität für Bodenkultur
- Kategorien
- Naturwissenschaften Umwelt und Klima