Seite - 16 - in WAS BITS UND BÄUME VERBINDET - Digitalisierung nachhaltig gestalten
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Und welche Konsequenzen müssen am dringendsten
vermieden oder zumindest abgemildert werden? Um
diese Fragen zu beantworten, müssen wir uns alles
anschauen, was zur Bereitstellung digitaler Produkte
und Dienstleistungen erforderlich ist: den Abbau von
Rohstoffen für Strom und Produkte der Informations-
und Kommunikationstechnologie (IKT), die Herstel-
lung von Komponenten und Produkten, die eigent-
liche Nutzung und schließlich die Entsorgung oder
Verwertung aller Komponenten.
Eine Möglichkeit, diese
Auswirkungen gebündelt
zu betrachten, ist der öko-
logische Rucksack. Er be-
inhaltet alle Roh stoffe, die
für ein Produkt über seinen
ganzen Lebensweg hin-
weg aufgewendet werden
müssen. Bei einem Mobil-
telefon sind die benötigten
Rohstoffe beispielsweise
rund 75 Kilo gramm.11 So
werden die versteckten Dimensionen begreifbar. Zu
beachten ist allerdings: Nicht jedes Kilo gramm hat
die gleichen Umweltauswirkungen. Letztere erfasst
eine Öko
bilanz, welche nicht nur den gesamten Weg
eines Produkts in den Blick nimmt, sondern auch
alle damit verbundenen Umweltprobleme. Dazu
zählen neben der globalen Erwärmung auch die
Überdüngung und Versauerung von Böden und Ge-
wässern, die Abgabe giftiger Stoffe und der Flächen-
verbrauch. Nicht immer sind die Ergebnisse so ein-
deutig und vorhersehbar, wie man sie sich wünschen
würde. So vermindert beispielsweise ein Elektroau-
to gegenüber einem konventionellen PKW zwar die
Treibhausgasemissionen, verursacht aber, über den
ganzen ‹Lebensweg› betrachtet, höhere Emissionen
humantoxischer Stoffe, die vor allem bei der Fahr-
zeugherstellung anfallen.12,13 Ähnlich kompli ziert
wird es beim Vergleich von DVD und Streaming (
siehe
dazu den Beitrag von Sühlmann-Faul).
Mithilfe der Ökobilanz lassen sich nicht nur Um-
weltauswirkungen von Produkten berechnen, son-
dern diese Auswirkungen lassen sich auch auf die
einzelnen Phasen des ‹Lebenswegs› aufteilen. Dabei
gewinnen wir weitere überraschende Erkenntnisse.
So entstehen für einen Laptop mehr als 50 Prozent
der negativen Umweltauswirkungen während des
Rohstoffabbaus und der Herstellung. Durch den
Laptop verursachte CO2-Emissionen entstehen nur zu rund acht Prozent in der Nutzungsphase und
können somit durch den Stromverbrauch nur in
geringem Umfang beeinflusst werden.14 Erweitert
man den Blickwinkel auf die sozialen Auswirkun-
gen, entdeckt man auch hier, was man sonst nicht
sieht und vielleicht auch lieber nicht sehen möchte:
Kinderarbeit und gesundheitsgefährdende Arbeits-
bedingungen sind leider typisch für die Rohstoff-
gewinnung, die Herstellung und auch das Recycling
von IKT-Produkten in Ländern des Globalen Südens.15
KANN DOCH NOCH ALLES BESSER WERDEN?
Ökologische und soziale Perspektiven zeigen: Die
Digitalisierung macht die Welt nicht automatisch
nachhaltiger. Wir können allerdings versuchen, die
digitale Transformation so ökologisch und sozial wie
möglich zu gestalten. Bloß wie?
Bei vielen Umweltproblemen haben technische Lö-
sungen die Situation stark verbessert, so hat zum Bei-
spiel die Kühltechnik ohne Fluorchlorkohlenwasser-
stoffe die Problematik des Ozonlochs entschärft.
Auch die neuen digitalen Technologien bieten Ver-
besserungspotenziale. Wenn eine Videokonferenz
eine Flugreise ersetzt, können CO2-Emissionen re-
duziert werden. Regelt ein intelligenter Thermostat
die Heizung, verbraucht diese im Idealfall nur noch
Energie, wenn sie wirklich gebraucht wird. Einspa-
rungen durch eine höhere Effizienz fallen in der Pra-
xis aller dings oft geringer aus, als ihr technisches
Potenzial verspricht. Insbesondere in der IKT haben
Effizienzsteigerungen vor allem Leistungserweite-
rungen und eine zunehmende Verbreitung begüns-
tigt. Im Gesamttrend konnte somit nie eine Verrin-
gerung der Umweltauswirkungen der IKT-Branche
erreicht werden – im Gegenteil, die Umweltschäden
steigen.16
Ohne Änderungen im Konsumverhalten werden
die mit der Digitalisierung verbundenen sozialen
und ökologischen Probleme nicht gelöst werden
können. Das gilt auch in anderen Bereichen, nur
wachsen IKT und digitale Medien neben der Mobili-
tät zu einer wesentlichen Stellschraube heran. Es
bedarf einer drastischen Senkung des Ressourcen-
verbrauchs in Deutschland und anderen Industrie-
nationen auf ein global gerechtes und ökologisch
verträgliches Niveau. Ein wichtiger Ansatzpunkt
ist eine Mobilitäts wende, in deren Mittelpunkt eine
Reduzierung der Autoflotte sowie die Herstellung
von kleineren und leichteren Autos stehen. Auch bei
digitalen Medien und IKT müssen wir uns als Kon-
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Ohne Änderungen
im Konsumverhalten
werden die mit der
Digitalisierung
verbundenen sozialen
und ökologischen
Probleme nicht gelöst
werden können.
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WAS BITS UND BÄUME VERBINDET
Digitalisierung nachhaltig gestalten
- Titel
- WAS BITS UND BÄUME VERBINDET
- Untertitel
- Digitalisierung nachhaltig gestalten
- Autor
- Anja Höfner
- Herausgeber
- Vivian Frick
- Verlag
- oekom verlag
- Ort
- München
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-SA 3.0
- ISBN
- 978-3-96238-149-3
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 152
- Schlagwörter
- Digitalisierung, Entwicklungszusammenarbeit, Politik, Ressourceneffizienz, Nachhaltigkeitskommunikation
- Kategorien
- Informatik
- Technik