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sondern noch hinzufügst: »ein echter Hermann« oder »genau, wie Dein
Vater«. Nun schadet das aber vielleicht – mehr als »vielleicht« kann man
nicht sagen – dem Felix wirklich nicht wesentlich, denn für ihn bist Du eben
nur ein allerdings besonders bedeutender Großvater, aber doch nicht alles, wie
Du es für mich gewesen bist, außerdem ist Felix ein ruhiger, schon jetzt
gewissermaßen männlicher Charakter, der sich durch eine Donnerstimme
vielleicht verblüffen, aber nicht für die Dauer bestimmen läßt, vor allem aber
ist er doch nur verhältnismäßig selten mit Dir beisammen, steht ja auch unter
anderen Einflüssen, Du bist ihm mehr etwas liebes Kurioses, aus dem er
auswählen kann, was er sich nehmen will. Mir warst Du nichts Kurioses, ich
konnte nicht auswählen, ich mußte alles nehmen.
Und zwar ohne etwas dagegen vorbringen zu können, denn es ist Dir von
vornherein nicht möglich, ruhig über eine Sache zu sprechen, mit der Du
nicht einverstanden bist oder die bloß nicht von Dir ausgeht; Dein herrisches
Temperament läßt das nicht zu. In den letzten Jahren erklärst Du das durch
Deine Herznervosität, ich wüßte nicht, daß Du jemals wesentlich anders
gewesen bist, höchstens ist Dir die Herznervosität ein Mittel zur strengeren
Ausübung der Herrschaft, da der Gedanke daran die letzte Widerrede im
anderen ersticken muß. Das ist natürlich kein Vorwurf, nur Feststellung einer
Tatsache. Etwa bei Ottla: »Man kann ja mit ihr gar nicht sprechen, sie springt
einem gleich ins Gesicht«, pflegst Du zu sagen, aber in Wirklichkeit springt
sie ursprünglich gar nicht; Du verwechselst die Sache mit der Person; die
Sache springt Dir ins Gesicht, und Du entscheidest sie sofort ohne Anhören
der Person; was nachher noch vorgebracht wird, kann Dich nur weiter reizen,
niemals überzeugen. Dann hört man von Dir nur noch: »Mach, was Du willst;
von mir aus bist Du frei; Du bist großjährig; ich habe Dir keine Ratschläge zu
geben«, und alles das mit dem fürchterlichen heiseren Unterton des Zornes
und der vollständigen Verurteilung, vor dem ich heute nur deshalb weniger
zittere als in der Kinderzeit, weil das ausschließliche Schuldgefühl des Kindes
zum Teil ersetzt ist durch den Einblick in unser beider Hilflosigkeit.
Die Unmöglichkeit des ruhigen Verkehrs hatte noch eine weitere eigentlich
sehr natürliche Folge: ich verlernte das Reden. Ich wäre ja wohl auch sonst
kein großer Redner geworden, aber die gewöhnlich fließende menschliche
Sprache hätte ich doch beherrscht. Du hast mir aber schon früh das Wort
verboten. Deine Drohung: »kein Wort der Widerrede!« und die dazu erhobene
Hand begleiten mich schon seit jeher. Ich bekam vor Dir – Du bist, sobald es
um Deine Dinge geht, ein ausgezeichneter Redner – eine stockende,
stotternde Art des Sprechens, auch das war Dir noch zu viel, schließlich
schwieg ich, zuerst vielleicht aus Trotz, dann, weil ich vor Dir weder denken
noch reden konnte. Und weil Du mein eigentlicher Erzieher warst, wirkte das
überall in meinem Leben nach. Es ist überhaupt ein merkwürdiger Irrtum,
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Buch Briefe an den Vater"
Briefe an den Vater
- Titel
- Briefe an den Vater
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1919
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 40
- Kategorien
- Weiteres Belletristik