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Digitalisierte Beratung zur effizienteren Selbstoptimierung 111
muss Niedrigschwelligkeit sich die Frage stellen lassen, ob nicht auch spon-
tane Abbrüche ebenso mühelos möglich sind. Vauseweh (2007) beschreibt bei-
spielhaft für Chats, was Call-Center-Agents aus ihrer täglichen Arbeit kennen:
Gesprächsabbrüche und Unerreichbarkeit.
Was heißt das für eine arbeitsbezogene Beratung? Reflexive Beratung ist nicht
primär lösungsorientiert und kuschelpädagogisch, sondern kann und sollte auch
kritisch-konfrontativ sein. Damit geht für beide Seiten die Gefahr plötzlicher
Kommunikationsabbrüche einher: Aus einer bewussten oder unbewussten
Abwehr bricht die Klientin im Affekt die Kommunikation ab und ist dann
für Beratung nicht mehr erreichbar. Eine vergleichbare Situation der Präsenz-
beratung wäre es, wenn der Klient mitten in der Beratung aufsteht und den
Raum verlässt oder zum Folgetermin unangekündigt nicht mehr erscheint.
Aber auch der Berater könnte die CMC-Beratung jederzeit und für sich folgen-
los abbrechen – für die Klientin ist das keine stabile, belastbare Beziehung zu
einer präsenten, lokalisierbaren Person, sondern setzt viel Vertrauen in ein abs-
traktes Gegenüber voraus. Auchter (2016) beschreibt Ansätze, wie ein auf Win-
nicotts Verständnis fußendes »Halten« in Beratungsprozessen gelingen kann
und wie notwendig dies für einen gelingenden Beratungsprozess ist. Wie lässt
sich die von ihm geforderte »grundlegende haltgebende Einstellung des Super-
visors« (a. a. O., S. 31) in einer CMC-Kommunikation umsetzen? Diese Frage
scheint für eine arbeitsbezogene Beratung bisher unbeantwortet, und es bleibt
offen, inwiefern Ansätze aus der Forschung zu Therapieabbrüchen übertragbar
sind. Unbedingt gehört zur Vertrauensbildung jedoch der Schutz vertraulicher
Daten. Eine wirksame Verschlüsselung der digitalen Kommunikation wäre mög-
lich und für Beratung mehr als angeraten (Bachmann & Fietze, 2018; Wenzel,
2015; Meßmer, Weinhardt & Bauer, 2012), ist aber für viele Anwender*innen
abschreckend aufwendig: Es kann nur erstaunen, »wie sorglos und wohl auch
unwissend Coaches mit diesem Thema umgehen und Coaching über kostenlose
Chat- und Videokonferenzanbieter oder über klassische E-Mail-Programme
durchführen«, schreibt Berninger-Schäfer (2018, S. 214) und widmet dem Thema,
von dem sie behauptet, dass sich darüber »im Online-Coaching alle einig sind«
(ebd.), selbst keine zwei von 235 Seiten.
Eine bisher unbeantwortete Frage zur Niedrigschwelligkeit ist, inwieweit die
Absenkung der Zugangsschwelle auch den Respekt vor dem Gegenüber sinken
lässt. Dabei bietet die Kanalreduktion die Möglichkeit, ohne oder mit weniger
Schamgefühlen von sich selbst zu sprechen. Gleichzeitig eröffnet sich dabei
aber auch die Möglichkeit, beiderseits mit oder ohne Absicht Gewalt auszuüben,
ohne die Folgen davon wahrnehmen zu können oder wahrnehmen zu müssen,
beispielsweise in Form von Coachingfragen. Bachmann und Fietze (2018) skiz-
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY-NC-ND 4.0
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Coaching im digitalen Wandel
- Titel
- Coaching im digitalen Wandel
- Herausgeber
- Robert Wegener
- Silvano Ackermann
- Jeremias Amstutz
- Silvia Deplazes
- Hansjörg Künzli
- Annamarie Ryter
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-40742-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 166
- Kategorie
- Technik