Seite - 13 - in Die Corona-Pandemie - Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
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krise. Betrachte man beide Phänomene nämlich als „zweieiige Zwillinge“,
ließe sich daraus, so Rosenberger mit einem Verweis auf den Untergang
des Römischen Reichs durch geänderte Klimabedingungen und drei
Pandemie-Wellen, gerade unter den gegenwärtigen Vorzeichen die welt-
historische Aufgabe ergreifen, ein dauerhaftes Gleichgewicht zwischen
menschlichem Wohlergehen und den Belastungsgrenzen der Erde zu er-
möglichen. Ein gesunder Planet für gesunde Menschen wird nur im Zu-
sammenspiel von ökologischer und sozialer Gerechtigkeit zu gewinnen
sein.
Willibald J. Stronegger verweist in seinem Beitrag Die Covid-19-
Pandemie aus biopolitischer Perspektive nach Foucault auf die Ambivalenz
biopolitischer Transformationsprozesse. Er vertritt die These, dass es durch
natürliche Massenbedrohungen zu einer Verstärkung zweier auf den ers-
ten Blick konträrer Reaktionen komme. Zum einen hätten gefährliche
Pandemien das Potenzial, Umverteilungs- und Solidaritätsmaßnahmen in-
nerhalb einer Gesellschaft zu fördern. Zum anderen führe dies aber auch
zu einer gesteigerten Entsolidarisierung gegenüber vulnerablen und älte-
ren Bevölkerungsteilen. Gemäß der biopolitischen Formel eines „Leben-
machens und Sterbenlassens“ gefährde eine solche „optimierte Lebenssi-
cherung“ sowohl das Konzept individueller Freiheit als auch jenes der
Würde des Menschen.
Indem Krisen ganz allgemein die Grenzen der vertrauten Ordnung be-
wusst machen, zwingen sie dazu, über ein „Danach“ nachzudenken. An
dieser menschlichen Fähigkeit zum Transzendieren justiert Regina Polak
im Anschluss daran die Kapazität zur Krisenbewältigung. An drei grundle-
genden gesellschaftlichen Wertekonflikten – Freiheit versus Sicherheit, Ge-
sundheit versus Tod, Autoritarismus versus Demokratie – veranschaulicht
Polak den Handlungsspielraum für die Wahrnehmung und den Umgang
mit der Covid-19-Pandemie und kritisiert die Verengung auf technokrati-
sche Zugänge und Methoden sowie die damit verbundene Immanenz-
Fixierung. Als Beispiel für die Eröffnung einer zukunftsoffenen Transzen-
denz-Spannweite erinnert die praktische Theologin an die tragende Glau-
benserfahrung, die die Verfasser der biblischen Texte bezeugen.
Isabella Guanzini betrachtet die Manifestation der Corona-Krise in
den drei Diskursen der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Politik. Der
biopolitische Imperativ des sozialen Abstands schreibe sich als Stachel des
permanenten Misstrauens in den individuellen und gesellschaftlichen Kör-
per ein. Diese Transformation in eine „aktive Isolation“, in das „Niemands-
land sozialer Nicht-Begegnung“, entfalte dabei einen dystopischen Sog,
dem Guanzini mit einem Diskurs der Kultur begegnen möchte. Dieses
Narrativ setzt bei der Wahrnehmung der Endlichkeit und Verletzlichkeit
Einleitung
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https://doi.org/10.5771/9783748910589, am 02.10.2020, 10:33:08
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Buch Die Corona-Pandemie - Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise"
Die Corona-Pandemie
Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Titel
- Die Corona-Pandemie
- Untertitel
- Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Autoren
- Wolfgang Kröll
- Johann Platzer
- Hans-Walter Ruckenbauer
- Herausgeber
- Walter Schaupp
- Verlag
- Nomos Verlagsgesellschaft
- Ort
- Baden-Baden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-1058-9
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 448
- Schlagwörter
- Philosophie, Theologie, Gesellschaft, Gesundheitssystem, Biopolitik, Menschenwürde, Bioethik, Intensivmedizin, Gesundheitsethik, Covid-19, Triage, Ethik, Strafrecht und Grundrechte, Krankenhausseelsorge, Spiritual Care, Pflegeheim, Social Distancing
- Kategorien
- Coronavirus
- Medizin
- Recht und Politik