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naus, würde die laufende Behandlung des ersten Patienten zugunsten der
Rettung eines anderen beendet. Die Stellungnahme des DER spricht sich
nicht eindeutig für die Geltung des sogenannten Windhund-Prinzips aus,
wonach derjenige, der zuerst an das medizinische Gerät angeschlossen
wird, diesen zeitbedingten Vorteil solange behält, als die Fortführung der
Behandlung für ihn medizinisch indiziert ist. Das Papier beschränkt sich
auf die Feststellung, dass die Beendigung einer lebenserhaltenden Maßnah-
me mit ausreichender Erfolgsprognose niemals „objektiv rechtens“ sein
kann. (S.4)
Dadurch gerät der DER in die unangenehme Situation, der Stellung-
nahme der Leopoldina, die derartige Entscheidungen nicht in jedem Fall
für unzulässig hält, indirekt widersprechen zu müssen. Deshalb hält auch
der DER eine andere individuelle ärztliche Entscheidung für moralisch im-
merhin tolerabel, auch wenn ihr eine rechtliche Handlungslegitimation
fehlt. „Hier können Grenzsituationen entstehen, die für das behandelnde
Personal seelisch kaum zu bewältigen sind. Wer in einer solchen Lage eine
Gewissensentscheidung trifft, die ethisch begründbar ist und transparen-
ten – etwa von medizinischen Fachgesellschaften aufgestellten – Kriterien
folgt, kann im Fall einer möglichen (straf-)rechtlichen Aufarbeitung des
Geschehens mit einer entschuldigenden Nachsicht der Rechtsordnung
rechnen.“ (S.4) Ob sich die einzelnen ärztlichen Entscheider durch den
bloßen Hinweis auf das Vorliegen eines rechtlichen Strafausschließungs-
grundes in ihrer Urteilskompetenz tatsächlich bestärkt fühlen, darf aller-
dings bezweifelt werden.
In ihrer Analyse des Vergleichs der Behandlungsbedürftigkeit mehrerer
Patienten im Rahmen einer Ex-post-Triage-Situation geht die Stellungnah-
me des DER davon aus, dass die lebenserhaltende Behandlung für den be-
reits an das medizinische Gerät angeschlossenen Patienten weiterhin indi-
ziert ist. In diesem Fall errichtet das rechtliche Verbot, die begonnene Be-
handlung vorzeitig abzubrechen, eine Grenze, die auch in ethischer Hin-
sicht Beachtung verlangt; solange die Fortführung der begonnenen Be-
handlung nach medizinischen Kriterien indiziert ist, weil noch Aussicht
besteht, dass sie ihr Ziel erreichen kann, bleibt jede andere Lösung durch
das Instrumentalisierungsverbot untersagt. Für die nachfolgenden Patien-
ten, die aufgrund fehlender medizinischer Kapazitäten oder wegen der Be-
legung aller vorhandenen Behandlungsplätze nicht mehr versorgt werden
können, erscheint es besonders bitter, von einer an sich möglichen und in
den meisten Fällen erfolgversprechenden Therapie wegen ihrer im Augen-
blick fehlenden Verfügbarkeit ausgeschlossen zu bleiben. Doch muss diese
Lage, deren Auftreten man einem tragischen „Zufall“ oder dem „Schick-
Die Ad-hoc-Empfehlung des Deutschen Ethikrats zur Corona-Pandemie
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https://doi.org/10.5771/9783748910589, am 02.10.2020, 10:33:08
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Die Corona-Pandemie
Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Titel
- Die Corona-Pandemie
- Untertitel
- Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Autoren
- Wolfgang Kröll
- Johann Platzer
- Hans-Walter Ruckenbauer
- Herausgeber
- Walter Schaupp
- Verlag
- Nomos Verlagsgesellschaft
- Ort
- Baden-Baden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-1058-9
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 448
- Schlagwörter
- Philosophie, Theologie, Gesellschaft, Gesundheitssystem, Biopolitik, Menschenwürde, Bioethik, Intensivmedizin, Gesundheitsethik, Covid-19, Triage, Ethik, Strafrecht und Grundrechte, Krankenhausseelsorge, Spiritual Care, Pflegeheim, Social Distancing
- Kategorien
- Coronavirus
- Medizin
- Recht und Politik