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systems abzuwenden, erreicht ist und die Reduplikationsrate, also die Zahl
der Infizierten, die einen anderen Menschen ansteckt, dauerhaft unter 1
liegt, ist eine Aufrechterhaltung der Maßnehmen nicht mehr gerechtfer-
tigt. „Wenn und soweit dieser Zustand erreicht wird, ist der schrittweise
und epidemiologisch evaluierte Abbau der Restriktionen nicht nur mög-
lich, sondern geboten.“ (S.6) Für die Zeit nach der Überwindung der Kri-
se, wenn wirksame Medikamente und verträgliche Impfstoffe vorliegen
werden, gibt der Ethikrat schließlich Empfehlungen zur Verbesserung des
Gesundheitswesens und dem Ausbau von Testkapazitäten zur Diagnostik,
die dafür sorgen sollen, dass man im Falle der Wiederholung ähnlicher
Pandemien in Zukunft besser gerüstet sein wird. Viele der anfangs in
Deutschland schmerzlich vermissten Maßnahmen waren an sich in den
Notfallplänen vorgesehen, die von den zuständigen Ministerien regelmä-
ßig überarbeitet werden sollen, aber im politischen Normalbetrieb oft ver-
nachlässigt werden und auch in der Öffentlichkeit nur wenig Aufmerk-
samkeit finden.
Beiläufig erwähnt die Stellungnahme, dass die verfügten Einschränkun-
gen des sozialen Lebens verschiedene Altersgruppen in unterschiedlichem
Maße treffen und somit auch Fragen der Generationengerechtigkeit auf-
werfen. Jüngere Menschen oder solche, die eine Infektion bereits überstan-
den und dadurch (wahrscheinlich) eine persönliche Immunität aufgebaut
haben, mögen vielleicht geneigt sein, für sich höhere Risiken zu akzeptie-
ren, da sie sich selbst als weniger gefährdet einschätzen. Dies kann sogar
bei Angehörigen von Hochrisikogruppen der Fall sein, die persönlich ein
höheres Risiko in Kauf zu nehmen gewillt sind, und deshalb die vorge-
schriebenen Schutzmaßnahmen zugunsten einer größeren Freizügigkeit
durchbrechen möchten. Gegenüber solchen persönlichen Erwägungen
ruft der DER in Erinnerung, dass die eigenen Entscheidungen und die ei-
gene Lebensführung erhebliche Auswirkungen auf die Entscheidungen
und die Lebensführung anderer Menschen haben. Dies gilt besonders in
Krisenzeiten, in denen keine eingespielten Verhaltensmuster verfügbar
sind, sondern vom einzelnen die Bereitschaft gefordert ist, Einschränkun-
gen auch dann verantwortlich mitzutragen, wenn sie nicht von allen ein-
gesehen werden. Dies gilt auch für die Solidarität zwischen den Generatio-
nen, wenn in einer Gefährdungslage die persönliche Betroffenheit durch
potenzielle Risiken umgekehrt verteilt ist. Die Angehörigen der älteren
Generation, zu deren Schutz Kinder und Jugendliche in Zeiten der Coro-
na-Krise überproportional und ungefragt herangezogen werden, können
darin einen gerechten Ausgleich für die Aufbauleistungen sehen, durch
die sie in den vergangenen Jahrzehnten den derzeitigen Wohlstand ge-
schaffen haben. Sie werden aber schon bald Gelegenheit bekommen, auch
Eberhard Schockenhoff
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https://doi.org/10.5771/9783748910589, am 02.10.2020, 10:33:08
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Buch Die Corona-Pandemie - Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise"
Die Corona-Pandemie
Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Titel
- Die Corona-Pandemie
- Untertitel
- Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Autoren
- Wolfgang Kröll
- Johann Platzer
- Hans-Walter Ruckenbauer
- Herausgeber
- Walter Schaupp
- Verlag
- Nomos Verlagsgesellschaft
- Ort
- Baden-Baden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-1058-9
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 448
- Schlagwörter
- Philosophie, Theologie, Gesellschaft, Gesundheitssystem, Biopolitik, Menschenwürde, Bioethik, Intensivmedizin, Gesundheitsethik, Covid-19, Triage, Ethik, Strafrecht und Grundrechte, Krankenhausseelsorge, Spiritual Care, Pflegeheim, Social Distancing
- Kategorien
- Coronavirus
- Medizin
- Recht und Politik