Seite - 42 - in Die Corona-Pandemie - Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
Bild der Seite - 42 -
Text der Seite - 42 -
Indikation und Patientenwille
Auch unter den Bedingungen einer Pandemie gilt das Vorliegen einer In-
dikation und die Zustimmung des betroffenen Patienten als zwingende
Voraussetzung für jede medizinische Therapie. Ohne medizinische Indika-
tion (die plausible Prognose der Erreichung eines bestimmten Therapie-
ziels mit einer therapeutischen Maßnahme) ist eine Therapie nicht zuläs-
sig, auch nicht dann, wenn ein Patient dies ausdrücklich wünschen würde.
Anders ausgedrückt, es gibt kein Recht auf nicht begründbare medizini-
sche Maßnahmen. Jeder Patient hat aber in Beachtung des Autonomie-
prinzips das Recht, eine eigentlich indizierte Therapie abzulehnen, auch
wenn dies aus medizinischer Perspektive völlig unsinnig erscheinen wür-
de.
Das chronologische Alter ist nicht entscheidend
Das Alter eines Intensivpatienten sagt noch nicht allzu viel über seine Pro-
gnose. Die Frage nach dem Alter sollte zugunsten einer Betrachtung des
medizinischen Gesamtzustandes und der Einschätzung der Perspektive ei-
nes Patienten in den Hintergrund rücken. Die bedeutendste Determinante
ist der funktionelle Status des Patienten vor einer intensivmedizinischen
Behandlung (Flaatten et al. 2017; Heyland et al. 2015; Zampieri et al.
2018). Im besten Sinne des Wortes liegt es in der ärztlichen Verantwor-
tung nach umfassender Entscheidungsfindung, einschließlich der Klärung
des tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillens, zum Wohl des Pa-
tienten zu handeln und gerade bei Menschen in einem fortgeschrittenen
Lebensalter die Begrenztheit menschlichen Lebens nicht als medizinisches
Versagen aufzufassen. Dies bedeutet nicht den Ausschluss betagter Men-
schen von intensivmedizinischer Behandlung, aber eine individuelle und
sorgfältige Abwägung der Situation (Valentin 2017). In einem Papier der
Schweizerischen Medizinischen Akademie der Wissenschaften heißt es zur
Nutzen-Risiko-Analyse intensivmedizinischer Behandlungen von hochbe-
tagten Patienten:
Klar ist, dass ab dem 30. Altersjahr in allen Organen mit eingeschränk-
ter oder fehlender Teilungsfähigkeit der Zellen (Hirn, Herz, Lunge,
Niere) ein schleichender Verlust an Gewebemasse und Funktion ein-
tritt. Unter normalen Bedingungen genügen die Reserven, um eine al-
tersadäquate Funktion der Organe bis ins hohe Alter sicherzustellen.
Bei Krankheit und großen oder komplexen Interventionen kann die
3.1.1
3.1.2
Andreas Valentin
42
https://doi.org/10.5771/9783748910589, am 02.10.2020, 10:33:08
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
zurück zum
Buch Die Corona-Pandemie - Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise"
Die Corona-Pandemie
Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Titel
- Die Corona-Pandemie
- Untertitel
- Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Autoren
- Wolfgang Kröll
- Johann Platzer
- Hans-Walter Ruckenbauer
- Herausgeber
- Walter Schaupp
- Verlag
- Nomos Verlagsgesellschaft
- Ort
- Baden-Baden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-1058-9
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 448
- Schlagwörter
- Philosophie, Theologie, Gesellschaft, Gesundheitssystem, Biopolitik, Menschenwürde, Bioethik, Intensivmedizin, Gesundheitsethik, Covid-19, Triage, Ethik, Strafrecht und Grundrechte, Krankenhausseelsorge, Spiritual Care, Pflegeheim, Social Distancing
- Kategorien
- Coronavirus
- Medizin
- Recht und Politik