Seite - 73 - in Die Corona-Pandemie - Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
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ten. Ihnen galt die größte Sorge und gleichzeitig wurden sie im Falle einer
Pandemiewelle als ein großes Risiko für die Spitäler und für die Gesund-
heitsversorgung gesehen: Mit Patientenverfügungen, Therapiezielprotokol-
len und Scores sollte die Aufnahme hochaltriger, multimorbider Men-
schen bei einem Covid-19-Verdacht in die Krankenhäuser vermieden und
diese nach Möglichkeit in den eigenen Einrichtungen versorgt werden.
Dass alte und hochaltrige, multimorbide Menschen zur Hochrisiko-
gruppe mit hohem Infektionsrisiko gehören, hat vielerorts zu strengen, ja
rigiden Reaktionen geführt: Einrichtungen der stationären Langzeitpflege
verhängten auf behördliche Anordnung oder aus eigenem Antrieb konse-
quente Besuchs- und Betretungsverbote, sei es für Angehörige oder auch
z. B. für mobile Dienste in der Palliativversorgung oder der Physiotherapie
etc., die nicht mehr in die Einrichtungen gelassen wurden. In vielen Pfle-
geeinrichtungen wurden nicht nur alle Besuche unterbunden, sondern
auch für die Bewohner*innen de facto eine Ausgangssperre verhängt. Sie
durften ihre Zimmer und die Einrichtung nicht verlassen. Den Angehöri-
gen wurde trotz Zusicherung von Sicherheitsvorkehrungen und Schutz-
maßnahmen verweigert, die pflegebedürftigen Menschen zu einem kurzen
Spaziergang auf dem Gelände an der Tür abzuholen.10 Wenn Bewoh-
ner*innen trotzdem z. B. für einen Arztbesuch die Einrichtung verließen,
wurden sie in ihrem Zimmer für 14 Tage unter Quarantäne gestellt.
Durch die Besuchsverbote wurde – nicht nur in End-of-Life-Situationen
und in Sterbebegleitungen – eine adäquate Versorgung und Begleitung
durch Verwandte und Freunde, aber auch durch mobile Dienste und Eh-
renamtliche unterbunden. Für viele Pflegende und Leitungsverantwortli-
che stellte das eine Herausforderung, Zerreißprobe und oft auch morali-
sche Belastung dar. Die Unterstützung seitens der Angehörigen und durch
Ehrenamtliche in der psychosozialen Begleitung, im Rahmen der Mobili-
sation durch Spaziergänge, aber auch als Unterstützung bei den Mahlzei-
ten, war gänzlich weggebrochen. Insbesondere die psychosoziale Beglei-
tung, aber auch der alltägliche Spaziergang konnte von den Pflegenden
nur unvollständig kompensiert werden. Die sichtbare Reduktion der Mo-
bilität führte in kürzester Zeit zu körperlichen Einschränkungen, Mobili-
tätsverlusten, aber auch zu einer Reduktion kognitiver Beweglichkeit. Für
die Pflegenden ist die körperliche und geistige Reduktion als Folge der Iso-
lation, insbesondere angesichts ihres professionellen Auftrags, nur schwer
10 Vgl. das Positionspapier der Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetrof-
fene Menschen e.V. (BIVA-Pflegeschutzbund) vom 26.03.2020 unter https://www.
biva.de/positionspapier-besuchsbeschraenkungen-pflegeheim/ [21.06.2020].
Corona und die Alten – um wen sorgen wir uns wirklich?
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https://doi.org/10.5771/9783748910589, am 02.10.2020, 10:33:08
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Buch Die Corona-Pandemie - Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise"
Die Corona-Pandemie
Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Titel
- Die Corona-Pandemie
- Untertitel
- Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Autoren
- Wolfgang Kröll
- Johann Platzer
- Hans-Walter Ruckenbauer
- Herausgeber
- Walter Schaupp
- Verlag
- Nomos Verlagsgesellschaft
- Ort
- Baden-Baden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-1058-9
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 448
- Schlagwörter
- Philosophie, Theologie, Gesellschaft, Gesundheitssystem, Biopolitik, Menschenwürde, Bioethik, Intensivmedizin, Gesundheitsethik, Covid-19, Triage, Ethik, Strafrecht und Grundrechte, Krankenhausseelsorge, Spiritual Care, Pflegeheim, Social Distancing
- Kategorien
- Coronavirus
- Medizin
- Recht und Politik