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Bedürfnissen jedes einzelnen Patienten, in Bezug auf die Dring-
lichkeit und Schwere des Ausbruchs der Pathologie und die pro-
gnostische Möglichkeit der Genesung unter Berücksichtigung der
Verhältnismäßigkeit der Behandlung“;
3. die Berücksichtigung der aktuellen Situation, sodass „die individu-
elle Beurteilung des in der Notaufnahme physisch anwesenden Pa-
tienten in die weitere Perspektive der ‚Gemeinschaft der Patienten‘
eingefügt“ werden muss. Dies bedeutet, dass die Standards der Al-
lokationsgerechtigkeit eingehalten werden müssen.21 Als analoges
Beispiel verweist die Ethikkommission ausdrücklich auf die Praxis
im Organtransplantationswesen: Bei der Erstellung der Wartelisten
der Transplantationsempfänger werden neben der Reihenfolge des
Eintreffens bzw. der Wartezeit hauptsächlich Kriterien der medizi-
nischen Dringlichkeit sowie des medizinischen Nutzens berück-
sichtigt. Zudem wird die Warteliste in regelmäßigen Abständen
anhand dieser Kriterien überprüft.
Betont wird schließlich, dass „den am meisten gefährdeten Menschen, die
sich möglicherweise der Gefahr ausgesetzt fühlen, vernachlässigt zu wer-
den, insbesondere älteren Menschen eine besondere Aufmerksamkeit gilt“.
Für sie werden nicht nur medizinische und klinische Betreuung, sondern
auch soziale und menschliche Nähe und Begleitung gefordert.
Das bereits erwähnte Mitglied der CNB Maurizio Mori hat sich dem Po-
sitionspapier der CNB nicht angeschlossen und stattdessen ein eigenes
Minderheitsvotum verfasst, das dem Positionspapier der CNB beigefügt
worden ist. Darin verteidigt Mori die Empfehlungen der SIAARTI und be-
mängelt, dass es die CNB verabsäumt habe, konkrete Kriterien für den Fall
der Unausweichlichkeit von Triage-Entscheidungen zu formulieren und
damit dem einzelnen Arzt die ganze Last einer solchen Entscheidung auf-
lasten würde. Entgegen der Position der CNB, dass das „klinische Kriteri-
um das einzige ethisch akzeptable Kriterium für klinische Entscheidun-
gen“, alle anderen Kriterien hingegen als ethisch inakzeptabel zurückge-
wiesen werden, verteidigte er die Position der SIAARTI als richtungswei-
send, dass es in einer Notsituation erforderlich sein kann, sich „nicht strikt
nach der klinischen Angemessenheit oder der Verhältnismäßigkeit der
21 In der Forderung, dass bei der Allokationsgerechtigkeit auch die physisch nicht
anwesenden Patienten berücksichtigen werden müssen, sieht die Ethikkommissi-
on einen Unterschied zu Triage unter Normalbedingungen, welche laut den mi-
nisteriellen Anweisungen (Ministero della Salute 2012) die Erstellung der Warte-
und Prioritätenliste nur die physisch anwesenden Patienten betrifft.
Martin M. Lintner
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https://doi.org/10.5771/9783748910589, am 02.10.2020, 10:33:08
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Buch Die Corona-Pandemie - Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise"
Die Corona-Pandemie
Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Titel
- Die Corona-Pandemie
- Untertitel
- Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Autoren
- Wolfgang Kröll
- Johann Platzer
- Hans-Walter Ruckenbauer
- Herausgeber
- Walter Schaupp
- Verlag
- Nomos Verlagsgesellschaft
- Ort
- Baden-Baden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-1058-9
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 448
- Schlagwörter
- Philosophie, Theologie, Gesellschaft, Gesundheitssystem, Biopolitik, Menschenwürde, Bioethik, Intensivmedizin, Gesundheitsethik, Covid-19, Triage, Ethik, Strafrecht und Grundrechte, Krankenhausseelsorge, Spiritual Care, Pflegeheim, Social Distancing
- Kategorien
- Coronavirus
- Medizin
- Recht und Politik