Seite - 145 - in Die Corona-Pandemie - Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
Bild der Seite - 145 -
Text der Seite - 145 -
stimmtheit mit Blick auf den Verlust an rechtsstaatlichen Garantien, die
eine Vernehmung beinhaltet, nicht.
Videovernehmungen wurden zur Verhinderung von COVID-19-
Infektion auch für die Hauptverhandlung ermöglicht.27 Nach §239 Satz2
StPO28 braucht ein verhafteter Angeklagter nicht mehr zur Hauptverhand-
lung vorgeführt werden, sondern er kann dieser per Videoschaltung folgen
und sich auch per Video einbringen, wodurch seine Beschuldigtenrechte
gewahrt bleiben (sollten). Eine Einschränkung wurde mit Wirkung 1. Juni
2020 dahingehend getroffen, dass im Geschworenenverfahren ein solches
Vorgehen nur dann zulässig ist, wenn „es im Einzelfall besonders gewichti-
ge Gründe für unabdingbar erscheinen lassen“29.
Bei allem Verständnis für die Nutzung neuer technischer Möglichkeiten
darf bei näherer Betrachtung nicht übersehen werden, dass damit ein be-
trächtlicher Verlust an Verteidigungsmöglichkeiten einher gehen kann.
Dies erscheint insofern wenig bedacht worden zu sein, als sich nirgends
eine Regelung findet, wie etwa in Fällen einer Videovernehmung mit der
Beiziehung eines Verteidigers umzugehen ist und wo er sich bei der Verneh-
mung befinden soll. Naheliegend wäre es, dass der Verteidiger beim Be-
schuldigten in der Haftanstalt sitzt (in entsprechendem Abstand und unter
Einhaltung der erforderlichen Sicherheitsbestimmungen), denn eine bloße
Zuschaltung des Verteidigers per Video wird vielfach nicht ausreichen,
weil auf diese Weise eine unkontrollierte Besprechung zwischen Verteidi-
ger und Mandant nicht gewährleistet ist.30 Für die Hauptverhandlung be-
deutet dies freilich, dass die unmittelbare Möglichkeit, sich in die Ver-
handlung einzubringen, verloren geht, wenn der Verteidiger nicht unmit-
telbar vor Ort ist. Dies könnte die Qualität der Verteidigung beeinträchti-
gen. Insofern wäre es besser, der Verteidiger würde im Verhandlungssaal
sitzen, wodurch aber wiederum eine unumschränkte Kommunikation mit
seinem Mandanten nur bei einer Unterbrechung der Hauptverhandlung
möglich wäre, im Zuge derer der Verteidiger seinen Mandanten in der Jus-
27 Zu den ebenfalls geschaffenen Möglichkeiten von Videovernehmungen im
Rechtsmittelverfahren siehe Birklbauer in Resch, Corona-HB Kap 16 Rz 51ff.
28 BGBl.I 14/2020.
29 §4 der Verordnung der BMJ zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19;
BGBl.II 113/2020 in der Fassung 243/2020.
30 Laut Mitteilung von BMJ Zadić gegenüber dem Parlament wurde auf die Kritik
von Rechtsanwälten, dass Angeklagte bei Videoverhandlungen nicht immer die
Möglichkeit hätten, sich ungestört mit ihrem Verteidiger zu unterhalten, insofern
reagiert, als U-Häftlingen ein Handy zur Verfügung zu stellen ist, damit sie sich –
ungestört – mit ihren Verteidigern unterhalten können (Parlamentskorrespon-
denz Nr.372 vom 24.04.2020).
Die Verhältnismäßigkeit der Covid-19-Maßnahmen aus strafrechtlicher Sicht
145
https://doi.org/10.5771/9783748910589, am 02.10.2020, 10:33:08
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
zurück zum
Buch Die Corona-Pandemie - Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise"
Die Corona-Pandemie
Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Titel
- Die Corona-Pandemie
- Untertitel
- Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Autoren
- Wolfgang Kröll
- Johann Platzer
- Hans-Walter Ruckenbauer
- Herausgeber
- Walter Schaupp
- Verlag
- Nomos Verlagsgesellschaft
- Ort
- Baden-Baden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-1058-9
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 448
- Schlagwörter
- Philosophie, Theologie, Gesellschaft, Gesundheitssystem, Biopolitik, Menschenwürde, Bioethik, Intensivmedizin, Gesundheitsethik, Covid-19, Triage, Ethik, Strafrecht und Grundrechte, Krankenhausseelsorge, Spiritual Care, Pflegeheim, Social Distancing
- Kategorien
- Coronavirus
- Medizin
- Recht und Politik