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beiwohnen. Allerdings hat dies die entsprechende Verordnung des Ge-
sundheitsministers, welche infolge des §2 COVID-19-Maßnahmengeset-
zes34 ergangen ist35, zumindest entsprechend der Darstellung seitens der
Bundesregierung nicht zugelassen. Bei den in §2 normierten Ausnahmen
vom Verbot des Betretens öffentlicher Orte war die Wahrung von Grund-
rechten oder die Inanspruchnahme von Grundsätzen der Demokratie, wie
sie z.
B. hinter dem Öffentlichkeitsgrundsatz stehen, nicht angeführt. Inso-
fern wäre es nicht erlaubt gewesen, das Haus zu verlassen, um einer öffent-
lichen Gerichtsverhandlung als Zuhörer beizuwohnen. Überspitzt formu-
liert war eine Verhandlung zwar de jure weiterhin öffentlich, de facto aber
infolge der genannten Verordnung nicht, weil der Weg zum Gericht keine
Ausnahme vom Verbot, öffentliche Orte zu betreten, bildete. Der Gesund-
heitsminister hatte somit gleichsam per Verordnung den verfassungsrecht-
lichen Öffentlichkeitsgrundsatz untergraben. Unabhängig von der Beurtei-
lung, ob eine derartige Verordnung überhaupt verfassungsrechtlich ge-
deckt ist, sollte die Möglichkeit, Verfassungsgrundsätze derart leicht aus
den Angeln zu heben, unter Verhältnismäßigkeitsaspekten nachdenklich
stimmen.36
Freilich war auch eine andere Lesart der Verordnung möglich, welche
die Regierungsspitze rasch als „Interpretation spitzfindiger Juristen“ be-
zeichnet hat, obwohl sie sich nur am Wortlaut der Norm orientierte, wie
es Juristen am Beginn ihres Studiums lernen. §2 Z. 5 der genannten Ver-
ordnung nannte als Ausnahme vom Verbot des Betretens öffentlicher Orte
im Freien, wenn diese „alleine, mit Personen, die im gemeinsamen Haus-
halt leben, oder mit Haustieren betreten werden sollen, gegenüber ande-
ren Personen ist dabei ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhal-
ten“. Ein bestimmter Zweck des Betretens war darin nicht genannt und
damit nicht erforderlich. Sportliche Betätigung, Spazierengehen oder
schlichter Aufenthalt im Freien zum Sonnenbaden waren damit ebenso
zulässig wie der Weg zu Freunden oder auch zum Gericht, um einer La-
dung Folge zu leisten oder einer Verhandlung beizuwohnen. Das immer
wieder seitens der Regierung ins Spiel gebrachte Verbot, andere Menschen
zu besuchen, mag zwar zur Eindämmung der Pandemie vernünftig gewe-
sen sein, es fand aber weder in den entsprechenden Gesetzen noch in den
dazu ergangenen Verordnungen seine Deckung.
34 BGBl.I 12/2020.
35 BGBl.II 98/2020 in der Fassung 162/2020. Diese Verordnung ist entsprechend
ihrem §7 mit 30.4.2020 außer Kraft getreten.
36 Kritisch zu dieser Maßnahme Birklbauer, JSt 2020, S.197.
Die Verhältnismäßigkeit der Covid-19-Maßnahmen aus strafrechtlicher Sicht
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https://doi.org/10.5771/9783748910589, am 02.10.2020, 10:33:08
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Die Corona-Pandemie
Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Titel
- Die Corona-Pandemie
- Untertitel
- Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Autoren
- Wolfgang Kröll
- Johann Platzer
- Hans-Walter Ruckenbauer
- Herausgeber
- Walter Schaupp
- Verlag
- Nomos Verlagsgesellschaft
- Ort
- Baden-Baden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-1058-9
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 448
- Schlagwörter
- Philosophie, Theologie, Gesellschaft, Gesundheitssystem, Biopolitik, Menschenwürde, Bioethik, Intensivmedizin, Gesundheitsethik, Covid-19, Triage, Ethik, Strafrecht und Grundrechte, Krankenhausseelsorge, Spiritual Care, Pflegeheim, Social Distancing
- Kategorien
- Coronavirus
- Medizin
- Recht und Politik