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Zusammenfassende Schlussfolgerungen
Dass der Gesetzgeber keine neuen Strafbestimmungen im Bereich des gerichtli-
chen materiellen Strafrechts geschaffen hat, war eine Folge des Ultima-Ratio-
Gedankens und hat insofern dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprochen.
Durch die Schaffung von Strafnormen im Bereich des Verwaltungsstraf-
rechts hat der Gesetzgeber ausreichend reagiert, zumal durch diese Nor-
men indirekt auch eine Strafbarkeit wegen Körperverletzungs- und Ge-
sundheitsgefährdungsdelikten des StGB entstehen kann, wenn sich durch
(vorsätzliches oder fahrlässiges) normwidriges Verhalten von infizierten
oder auch nicht-infizierten Personen eine konkrete Ansteckung nachwei-
sen lässt. Dass Verwaltungsstrafen aber tendenziell weniger sozial gerecht
sind als gerichtliche Geldstrafen, soll in diesem Zusammenhang nicht un-
erwähnt bleiben.
Beim Strafverfahrensrecht war die Grundidee, Vernehmungen per Video zu
führen, um direkte Kontakte zu vermeiden, verhältnismäßig, wenn die
Verteidigungsrechte ausreichend gewahrt werden. Die ausreichende Wah-
rung von Verteidigungsrechten blieb aber im Rahmen der Normschaffung
weitgehend unberücksichtigt. Für die zugelassene Möglichkeit, auf Ver-
handlungen zur Haftverlängerung zu verzichten und den Freiheitsentzug oh-
ne Vernehmung des Inhaftierten fortzusetzen, fehlte jede Notwendigkeit.
Diese Maßnahme im Bereich des Strafverfahrens ist als unverhältnismäßig
und grundrechtlich bedenklich zu qualifizieren. Gleiches gilt für die fakti-
sche Beschränkung der Öffentlichkeit einer Hauptverhandlung während des
Shut Downs.
Für den Strafvollzug ist das Ansinnen, Gefangene von COVID-19-
Infektionen zu schützen, infolge des besonderen Schutzverhältnisses des
Staates gegenüber diesen Menschen grundsätzlich verhältnismäßig. Inso-
fern waren auch die Besuchsbeschränkungen ein richtiger Weg. Strafantrit-
te bei vertretbarem Risiko für die Gesellschaft aufzuschieben war ebenso
ein richtiger Schritt. Dass aber bestimmte Straftätergruppen, die sich auf
freiem Fuß befanden, was ein entsprechendes fehlendes Gefährdungspo-
tential inkludiert, um jeden Preis sofort ins Gefängnis mussten, ist absolut
unverhältnismäßig und zeugt von einem Menschenbild, das eines liberal-
demokratischen Rechtsstaats, der den Grundrechten verpflichtet ist, abso-
lut unwürdig ist.
Die Gesamtbewertung der Verhältnismäßigkeit der COVID-19-
Maßnahmen aus strafrechtlicher Sicht fällt somit gemischt aus. Der Weg,
keine Neuerungen im materiellen Strafrecht vorzunehmen und die neuen
technischen Möglichkeiten im Rahmen von Strafverfahren zu nutzen, um
auch hier ein „Social Distancing“ zu ermöglichen, war jedenfalls vertret-
5. Die Verhältnismäßigkeit der Covid-19-Maßnahmen aus strafrechtlicher Sicht
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https://doi.org/10.5771/9783748910589, am 02.10.2020, 10:33:08
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Buch Die Corona-Pandemie - Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise"
Die Corona-Pandemie
Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Titel
- Die Corona-Pandemie
- Untertitel
- Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Autoren
- Wolfgang Kröll
- Johann Platzer
- Hans-Walter Ruckenbauer
- Herausgeber
- Walter Schaupp
- Verlag
- Nomos Verlagsgesellschaft
- Ort
- Baden-Baden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-1058-9
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 448
- Schlagwörter
- Philosophie, Theologie, Gesellschaft, Gesundheitssystem, Biopolitik, Menschenwürde, Bioethik, Intensivmedizin, Gesundheitsethik, Covid-19, Triage, Ethik, Strafrecht und Grundrechte, Krankenhausseelsorge, Spiritual Care, Pflegeheim, Social Distancing
- Kategorien
- Coronavirus
- Medizin
- Recht und Politik