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unbedingt ins Schloß verwies?
»Das ist noch nicht sicher«, sagte K., »erst muß ich erfahren, was für eine
Arbeit man für mich hat. Sollte ich zum Beispiel hier unten arbeiten, dann
wird es auch vernünftiger sein, hier unten zu wohnen. Auch fürchte ich, daß
mir das Leben oben im Schlosse nicht zusagen würde. Ich will immer frei
sein.«
»Du kennst das Schloß nicht«, sagte der Wirt leise.
»Freilich«, sagte K., »man soll nicht verfrüht urteilen. Vorläufig weiß ich ja
vom Schloß nichts weiter, als daß man es dort versteht, sich den richtigen
Landvermesser auszusuchen. Vielleicht gibt es dort noch andere Vorzüge.«
Und er stand auf, um den unruhig seine Lippen beißenden Wirt von sich zu
befreien. Leicht war das Vertrauen dieses Mannes nicht zu gewinnen.
Im Fortgehen fiel K. an der Wand ein dunkles Porträt in einem dunklen
Rahmen auf. Schon von seinem Lager aus hatte er es bemerkt, hatte aber in
der Entfernung die Einzelheiten nicht unterschieden und geglaubt, das
eigentliche Bild sei aus dem Rahmen fortgenommen und nur ein schwarzer
Rückendeckel sei zu sehen. Aber es war doch ein Bild, wie sich jetzt zeigte,
das Brustbild eines etwa fünfzigjährigen Mannes. Den Kopf hielt er so tief auf
die Brust gesenkt, daß man kaum etwas von den Augen sah, entscheidend für
die Senkung schien die hohe, lastende Stirn und die starke, hinabgekrümmte
Nase. Der Vollbart, infolge der Kopfhaltung am Kinn eingedrückt, stand
weiter unten ab. Die linke Hand lag gespreizt in den vollen Haaren, konnte
aber den Kopf nicht mehr heben. »Wer ist das?« fragte K. »Der Graf?« K.
stand vor dem Bild und blickte sich gar nicht nach dem Wirt um. »Nein«,
sagte der Wirt, »der Kastellan.« – »Einen schönen Kastellan haben sie im
Schloß, das ist wahr«, sagte K., »schade, daß er einen so mißratenen Sohn
hat.« – »Nein«, sagte der Wirt, zog K. ein wenig zu sich herunter und flüsterte
ihm ins Ohr: »Schwarzer hat gestern übertrieben, sein Vater ist nur ein
Unterkastellan und sogar einer der letzten.« In diesem Augenblick kam der
Wirt K. wie ein Kind vor. »Der Lump!« sagte K. lachend, aber der Wirt lachte
nicht mit, sondern sagte: »Auch sein Vater ist mächtig.« – »Geh!« sagte K.
»Du hältst jeden für mächtig. Mich etwa auch?« – »Dich«, sagte er
schüchtern, aber ernsthaft, »halte ich nicht für mächtig.« – »Du verstehst also
doch recht gut zu beobachten«, sagte K., »mächtig bin ich nämlich, im
Vertrauen gesagt, wirklich nicht. Und habe infolgedessen vor den Mächtigen
wahrscheinlich nicht weniger Respekt als du, nur bin ich nicht so aufrichtig
wie du und will es nicht immer eingestehen.« Und K. klopfte dem Wirt, um
ihn zu trösten und sich geneigter zu machen, leicht auf die Wange. Nun
lächelte er doch ein wenig. Er war wirklich ein Junge mit seinem weichen,
fast bartlosen Gesicht. Wie war er zu seiner breiten, ältlichen Frau
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik