Seite - 10 - in Das Schloss
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gekommen, die man nebenan hinter einem Guckfenster, weit die Ellenbogen
vom Leib, in der Küche hantieren sah? K. wollte aber jetzt nicht mehr weiter
in ihn dringen, das endlich bewirkte Lächeln nicht verjagen. Er gab ihm also
nur noch einen Wink, ihm die Tür zu öffnen, und trat in den schönen
Wintermorgen hinaus.
Nun sah er oben das Schloß deutlich umrissen in der klaren Luft und noch
verdeutlicht durch den alle Formen nachbildenden, in dünner Schicht überall
liegenden Schnee. Übrigens schien oben auf dem Berg viel weniger Schnee
zu sein als hier im Dorf, wo sich K. nicht weniger mühsam vorwärts brachte
als gestern auf der Landstraße. Hier reichte der Schnee bis zu den Fenstern
der Hütten und lastete gleich wieder auf dem niedrigen Dach, aber oben auf
dem Berg ragte alles frei und leicht empor, wenigstens schien es so von hier
aus.
Im ganzen entsprach das Schloß, wie es sich hier von der Ferne zeigte, K.s
Erwartungen. Es war weder eine alte Ritterburg noch ein neuer Prunkbau,
sondern eine ausgedehnte Anlage, die aus wenigen zweistöckigen, aber aus
vielen eng aneinander stehenden niedrigen Bauten bestand; hätte man nicht
gewußt, daß es ein Schloß sei, hätte man es für ein Städtchen halten können.
Nur einen Turm sah K., ob er zu einem Wohngebäude oder einer Kirche
gehörte, war nicht zu erkennen. Schwärme von Krähen umkreisten ihn.
Die Augen auf das Schloß gerichtet, ging K. weiter, nichts sonst kümmerte
ihn. Aber im Näherkommen enttäuschte ihn das Schloß, es war doch nur ein
recht elendes Städtchen, aus Dorfhäusern zusammengetragen, ausgezeichnet
nur dadurch, daß vielleicht alles aus Stein gebaut war; aber der Anstrich war
längst abgefallen, und der Stein schien abzubröckeln. Flüchtig erinnerte sich
K. an sein Heimatstädtchen; es stand diesem angeblichen Schlosse kaum
nach. Wäre es K. nur auf die Besichtigung angekommen, dann wäre es schade
um die lange Wanderschaft gewesen und er hätte vernünftiger gehandelt,
wieder einmal die alte Heimat zu besuchen, wo er schon so lange nicht
gewesen war. Und er verglich in Gedanken den Kirchturm der Heimat mit
dem Turm dort oben. Jener Turm, bestimmt, ohne Zögern geradewegs nach
oben sich verjüngend, breitdachig, abschließend mit roten Ziegeln, ein
irdisches Gebäude – was können wir anderes bauen? – aber mit höherem Ziel
als die niedrige Häusermenge und mit klarerem Ausdruck, als ihn der trübe
Werktag hat. Der Turm hier oben – es war der einzig sichtbare -, der Turm
eines Wohnhauses, wie es sich jetzt zeigte, vielleicht des Hauptschlosses, war
ein einförmiger Rundbau, zum Teil gnädig von Efeu verdeckt, mit kleinen
Fenstern, die jetzt in der Sonne aufstrahlten – etwas Irrsinniges hatte das -,
und einem söllerartigen Abschluß, dessen Mauerzinnen unsicher,
unregelmäßig, brüchig, wie von ängstlicher oder nachlässiger Kinderhand
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik