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vor dem Hause wegzuschaffen. Das Hoftor öffnete sich, und ein kleiner
Schlitten für leichte Lasten, ganz flach, ohne irgendwelchen Sitz, von einem
schwachen Pferdchen gezogen, kam hervor, dahinter der Mann, gebückt,
schwach, hinkend, mit magerem, rotem, verschnupftem Gesicht, das
besonders klein erschien durch einen fest um den Kopf gewickelten
Wollschal. Der Mann war sichtlich krank und nur, um K. wegbefördern zu
können, war er doch hervorgekommen. K. erwähnte etwas Derartiges, aber
der Mann winkte ab. Nur daß er der Fuhrmann Gerstäcker war, erfuhr K., und
daß er diesen unbequemen Schlitten genommen habe, weil er gerade
bereitstand und das Hervorziehen eines anderen zuviel Zeit gebraucht hätte.
»Setzt Euch«, sagte er und zeigte mit der Peitsche hinten auf den Schlitten.
»Ich werde mich neben Euch setzen«, sagte K. »Ich werde gehen«, sagte
Gerstäcker. »Warum denn?« fragte K. »Ich werde gehen«, wiederholte
Gerstäcker und bekam einen Hustenanfall, der ihn so schüttelte, daß er die
Beine in den Schnee stemmen und mit den Händen den Schlittenrand halten
mußte. K. sagte nichts weiter, setzte sich hinten auf den Schlitten, der Husten
beruhigte sich langsam und sie fuhren.
Das Schloß dort oben, merkwürdig dunkel schon, das K. heute noch zu
erreichen gehofft hatte, entfernte sich wieder. Als sollte ihm aber doch noch
zum vorläufigen Abschied ein Zeichen gegeben werden, erklang dort ein
Glockenton, fröhlich beschwingt eine Glocke, die wenigstens einen
Augenblick lang das Herz erbeben ließ, so, als drohe ihm – denn auch
schmerzlich war der Klang – die Erfüllung dessen, wonach es sich unsicher
sehnte. Aber bald verstummte diese große Glocke und wurde von einem
schwachen, eintönigen Glöckchen abgelöst, vielleicht noch oben, vielleicht
aber schon im Dorfe. Dieses Geklingel paßte freilich besser zu der langsamen
Fahrt und dem jämmerlichen, aber unerbittlichen Fuhrmann.
»Du«, rief K. plötzlich – sie waren schon in der Nähe der Kirche, der Weg
ins Wirtshaus nicht mehr weit, K. durfte schon etwas wagen -, »ich wundere
mich sehr, daß du auf deine eigene Verantwortung mich herumzufahren
wagst, darfst du denn das?« Gerstäcker kümmerte sich nicht darum und
schritt ruhig weiter neben dem Pferdchen. »He!« rief K., ballte etwas Schnee
vom Schlitten zusammen und traf Gerstäcker damit voll ins Ohr. Nun blieb
dieser stehen und drehte sich um; als ihn K. aber nun so nahe bei sich sah –
der Schlitten hatte sich noch ein wenig weitergeschoben -, diese gebückte,
gewissermaßen mißhandelte Gestalt, das rote müde, schmale Gesicht mit
irgendwie verschiedenen Wangen, die eine flach, die andere eingefallen, den
offenen, aufhorchenden Mund, in dem nur ein paar vereinzelte Zähne waren,
mußte er das, was er früher aus Bosheit gesagt hatte, jetzt aus Mitleid
wiederholen, ob Gerstäcker nicht dafür, daß er K. transportierte, gestraft
werden könne. »Was willst du?« fragte Gerstäcker verständnislos, erwartete
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik