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»Du hast mich nicht gefragt, Herr«, sagte Barnabas, »du wolltest mir nur noch
einen Auftrag geben, aber weder in der Wirtsstube noch in deinem Zimmer,
da dachte ich, du könntest mir den Auftrag ungestört hier bei meinen Eltern
geben. Sie werden sich alle gleich entfernen, wenn du es befiehlst; auch
könntest du, wenn es dir bei uns besser gefällt, hier übernachten. Habe ich
nicht recht getan?« K. konnte nicht antworten. Ein Mißverständnis war es also
gewesen, ein gemeines, niedriges Mißverständnis, und K. hatte sich ihm ganz
hingegeben. Hatte sich bezaubern lassen von des Barnabas enger,
seidenglänzender Jacke, die dieser jetzt aufknöpfte und unter der ein grobes,
grauschmutziges, viel geflicktes Hemd erschien über der mächtigen, kantigen
Brust eines Knechtes. Und alles ringsum entsprach dem nicht nur, überbot es
noch, der alte, gichtische Vater, der mehr mit Hilfe der tastenden Hände als
der sich langsam schiebenden, steifen Beine vorwärts kam, die Mutter mit auf
der Brust gefalteten Händen, die wegen ihrer Fülle auch nur die winzigsten
Schritte machen konnte. Beide, Vater und Mutter, gingen schon, seitdem K.
eingetreten war, aus ihrer Ecke auf ihn zu und hatten ihn noch lange nicht
erreicht. Die Schwestern, Blondinen, einander und dem Barnabas ähnlich,
aber mit härteren Zügen als Barnabas, große, starke Mägde, umstanden die
Ankömmlinge und erwarteten von K. irgendein Begrüßungswort. Er konnte
aber nichts sagen; er hatte geglaubt, hier im Dorf habe jeder für ihn
Bedeutung, und es war wohl auch so, nur gerade diese Leute hier
bekümmerten ihn gar nicht. Wäre er imstande gewesen, allein den Weg ins
Wirtshaus zu bewältigen, er wäre gleich fortgegangen. Die Möglichkeit, früh
mit Barnabas ins Schloß zu gehen, lockte ihn gar nicht. Jetzt in der Nacht,
unbeachtet, hätte er ins Schloß dringen wollen, von Barnabas geführt, aber
von jenem Barnabas, wie er ihm bisher erschienen war, einem Mann, der ihm
näher war als alle, die er bisher hier gesehen hatte, und von dem er
gleichzeitig geglaubt hatte, daß er weit über seinen sichtbaren Rang hinaus
eng mit dem Schloß verbunden war. Mit dem Sohn dieser Familie aber, zu der
er völlig gehörte und mit der er schon beim Tisch saß, mit einem Mann, der
bezeichnenderweise nicht einmal im Schloß schlafen durfte, an seinem Arm
am hellen Tag ins Schloß zu gehen, war unmöglich, war ein lächerlich
hoffnungsloser Versuch.
K. setzte sich auf eine Fensterbank, entschlossen, dort auch die Nacht zu
verbringen und keinen Dienst sonst von der Familie in Anspruch zu nehmen.
Die Leute aus dem Dorf, die ihn wegschickten oder die vor ihm Angst hatten,
schienen ihm ungefährlicher, denn sie verwiesen ihn im Grund auf ihn selbst,
halfen ihm, seine Kräfte gesammelt zu halten; solche scheinbare Helfer aber,
die ihn, statt ins Schloß, dank einer kleinen Maskerade, in ihre Familien
führten, lenkten ihn ab, ob sie nun wollten oder nicht, arbeiteten an der
Zerstörung seiner Kräfte. Einen einladenden Zuruf vom Familientisch
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik