Seite - 29 - in Das Schloss
Bild der Seite - 29 -
Text der Seite - 29 -
beachtete er gar nicht, mit gesenktem Kopf blieb er auf seiner Bank.
Da stand Olga auf, die sanftere der Schwestern, auch eine Spur
mädchenhafter Verlegenheit zeigte sie, kam zu K. und bat ihn, zum Tisch zu
kommen. Brot und Speck sei dort vorbereitet, Bier werde sie noch holen.
»Von wo?« fragte K. »Aus dem Wirtshaus«, sagte sie. Das war K. sehr
willkommen. Er bat sie, kein Bier zu holen, aber ihn ins Wirtshaus zu
begleiten, er habe dort noch wichtige Arbeiten liegen. Es stellte sich nun aber
heraus, daß sie nicht so weit, nicht in sein Wirtshaus gehen wollte, sondern in
ein anderes, viel näheres, den Herrenhof. Trotzdem bat K., sie begleiten zu
dürfen, vielleicht, so dachte er, findet sich dort eine Schlafgelegenheit; wie sie
auch sein mochte, er hätte sie dem besten Bett hier im Hause vorgezogen.
Olga antwortete nicht gleich, blickte sich nach dem Tisch um. Dort war der
Bruder aufgestanden, nickte bereitwillig und sagte: »Wenn der Herr es
wünscht.« Fast hätte K. diese Zustimmung dazu bewegen können, seine Bitte
zurückzuziehen, nur Wertlosem konnte jener zustimmen. Aber als nun die
Frage besprochen wurde, ob man K. in das Wirtshaus einlassen werde, und
alle daran zweifelten, bestand er doch dringend darauf, mitzugehen, ohne sich
aber die Mühe zu nehmen, einen verständlichen Grund für seine Bitte zu
erfinden; diese Familie mußte ihn hinnehmen, wie er war, er hatte
gewissermaßen kein Schamgefühl vor ihr. Darin beirrte ihn nur Amalia ein
wenig mit ihrem ernsten, geraden, unrührbaren, vielleicht auch etwas
stumpfen Blick.
Auf dem kurzen Weg ins Wirtshaus – K. hatte sich in Olga eingehängt und
wurde von ihr, er konnte sich nicht anders helfen, fast so gezogen wie früher
von ihrem Bruder – erfuhr er, daß dieses Wirtshaus eigentlich nur für Herren
aus dem Schloß bestimmt sei, die dort, wenn sie etwas im Dorf zu tun hätten,
äßen und sogar manchmal übernachteten. Olga sprach mit K. leise und wie
vertraut, es war angenehm, mit ihr zu gehen, fast so wie mit dem Bruder. K.
wehrte sich gegen das Wohlgefühl, aber es bestand.
Das Wirtshaus war äußerlich sehr ähnlich dem Wirtshaus, in dem K.
wohnte. Es gab im Dorf wohl überhaupt keine großen äußeren Unterschiede,
aber kleine Unterschiede waren doch gleich zu merken, die Vortreppe hatte
ein Geländer, eine schöne Laterne war über der Tür befestigt. Als sie
eintraten, flatterte ein Tuch über ihren Köpfen, es war eine Fahne mit den
gräflichen Farben. Im Flur begegnete ihnen gleich, offenbar auf einem
beaufsichtigenden Rundgang befindlich, der Wirt; mit kleinen Augen, prüfend
oder schläfrig, sah er K. im Vorübergehen an und sagte: »Der Herr
Landvermesser darf nur bis in den Ausschank gehen.« »Gewiß«, sagte Olga,
die sich K.s gleich annahm, »er begleitet mich nur.« K. aber, undankbar,
machte sich von Olga los und nahm den Wirt beiseite. Olga wartete
29
zurück zum
Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik