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nicht die Bedeutung haben, die man dem gerne zusprechen möchte, er rief
einfach den Namen ›Frieda‹ – wer kennt seine Absichten? -, daß Frieda
natürlich eilends kam, war ihre Sache, und daß sie ohne Widerspruch zu ihm
gelassen wurde, war Klamms Güte, aber daß er sie geradezu gerufen hätte,
kann man nicht behaupten. Freilich, nun ist auch das, was war, für immer
dahin. Vielleicht wird Klamm noch den Namen ›Frieda‹ rufen, das ist
möglich, aber zugelassen wird sie zu ihm gewiß nicht mehr, ein Mädchen, das
sich mit Ihnen abgegeben hat. Und nur eines, nur eines kann ich nicht
verstehen mit meinem armen Kopf, daß ein Mädchen, von dem man sagte, es
sei Klamms Geliebte – ich halte das übrigens für eine sehr übertriebene
Bezeichnung -, sich von Ihnen auch nur berühren ließ.«
»Gewiß, das ist merkwürdig«, sagte K., und nahm Frieda, die sich, wenn
auch mit gesenktem Kopf, gleich fügte, zu sich auf den Schoß, »es beweist
aber, glaube ich, daß sich auch sonst nicht alles genauso verhält, wie Sie
glauben. So haben Sie zum Beispiel gewiß recht, wenn Sie sagen, daß ich vor
Klamm ein Nichts bin; und wenn ich jetzt auch verlange, mit Klamm zu
sprechen, und nicht einmal durch Ihre Erklärungen davon abgebracht bin, so
ist damit noch nicht gesagt, daß ich imstande bin, den Anblick Klamms ohne
dazwischenstehende Tür auch nur zu ertragen, und ob ich nicht schon bei
seinem Erscheinen aus dem Zimmer renne. Aber eine solche, wenn auch
berechtigte Befürchtung ist für mich noch kein Grund, die Sache nicht doch
zu wagen. Gelingt es mir aber, ihm standzuhalten, dann ist es gar nicht nötig,
daß er mit mir spricht, es genügt mir, wenn ich den Eindruck sehe, den meine
Worte auf ihn machen, und machen sie keinen oder hört er sie gar nicht, habe
ich doch den Gewinn, frei vor einem Mächtigen gesprochen zu haben. Sie
aber, Frau Wirtin, mit Ihrer großen Lebens- und Menschenkenntnis, und
Frieda, die noch gestern Klamms Geliebte war – ich sehe keinen Grund, von
diesem Wort abzugehen -, können mir gewiß leicht die Gelegenheit
verschaffen, mit Klamm zu sprechen; ist es auf keine andere Weise möglich,
dann eben im Herrenhof, vielleicht ist er auch heute noch dort.«
»Es ist unmöglich«, sagte die Wirtin, »und ich sehe, daß Ihnen die Fähigkeit
fehlt, es zu begreifen. Aber sagen Sie doch, worüber wollen Sie denn mit
Klamm sprechen?« – »Über Frieda natürlich«, sagte K.
»Über Frieda?« fragte die Wirtin verständnislos und wandte sich an Frieda.
»Hörst du, Frieda, über dich will er, er, mit Klamm, mit Klamm sprechen.«
»Ach«, sagte K., »Sie sind, Frau Wirtin, eine so kluge, achtungeinflößende
Frau, und doch erschreckt Sie jede Kleinigkeit. Nun also, ich will über Frieda
mit ihm sprechen, das ist doch nicht so sehr ungeheuerlich als vielmehr
selbstverständlich. Denn Sie irren gewiß auch, wenn Sie glauben, daß Frieda
von dem Augenblick an, wo ich auftrat, für Klamm bedeutungslos geworden
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik