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»Werde nur nicht böse«, sagte Frieda, »du mußt unsere Aufregung richtig
verstehen. Wenn man will, verdanken wir es nur Barnabas, daß wir jetzt
einander gehören. Als ich dich zum erstenmal im Ausschank sah – du kamst
herein, eingehängt in Olga -, wußte ich zwar schon einiges über dich, aber im
ganzen warst du mir doch völlig gleichgültig. Nun, nicht nur du warst mir
gleichgültig, fast alles, fast alles war mir gleichgültig. Ich war ja auch damals
mit vielem unzufrieden, und manches ärgerte mich, aber was war das für eine
Unzufriedenheit und was für ein Ärger! Es beleidigte mich zum Beispiel einer
der Gäste im Ausschank, sie waren ja immer hinter mir her – du hast die
Burschen dort gesehen, es kamen aber noch viel ärgere, Klamms Dienerschaft
war nicht die ärgste -, also einer beleidigte mich, was bedeutete mir das? Es
war mir, als sei es vor vielen Jahren geschehen oder als sei es gar nicht mir
geschehen oder als hätte ich es nur erzählen hören oder als hätte ich selbst es
schon vergessen. Aber ich kann es nicht beschreiben, ich kann es mir nicht
einmal mehr vorstellen, so hat sich alles geändert, seitdem Klamm mich
verlassen hat.«
Und Frieda brach ihre Erzählung ab, traurig senkte sie den Kopf, die Hände
hielt sie gefaltet im Schoß.
»Sehen Sie«, rief die Wirtin, und sie tat es so, als spreche sie nicht selbst,
sondern leihe nur Frieda ihre Stimme, sie rückte auch näher und saß nun
knapp neben Frieda, »sehen Sie nun, Herr Landvermesser, die Folgen Ihrer
Taten, und auch Ihre Gehilfen, mit denen ich ja nicht sprechen darf, mögen zu
ihrer Belehrung zusehen! Sie haben Frieda aus dem glücklichsten Zustand
gerissen, der ihr je beschieden war, und es ist Ihnen vor allem deshalb
gelungen, weil Frieda mit ihrem kindlich übertriebenen Mitleid es nicht
ertragen konnte, daß Sie an Olgas Arm hingen und so der Barnabasschen
Familie ausgeliefert schienen. Sie hat Sie gerettet und sich dabei geopfert.
Und nun, da es geschehen ist und Frieda alles, was sie hatte, eingetauscht hat
für das Glück, auf Ihrem Knie zu sitzen, nun kommen Sie und spielen es als
Ihren großen Trumpf aus, daß Sie einmal die Möglichkeit hatten, bei
Barnabas übernachten zu dürfen. Damit wollen Sie wohl beweisen, daß Sie
von mir unabhängig sind. Gewiß, wenn Sie wirklich bei Barnabas übernachtet
hätten, wären Sie so unabhängig von mir, daß Sie im Nu, aber
allerschleunigst, mein Haus verlassen müßten.«
»Ich kenne die Sünden der Barnabasschen Familie nicht«, sagte K.,
während er Frieda, die wie leblos war, vorsichtig aufhob, langsam auf das
Bett setzte und selbst aufstand, »vielleicht haben Sie darin recht, aber ganz
gewiß hatte ich recht, als ich Sie ersucht habe, unsere Angelegenheiten,
Friedas und meine, uns beiden allein zu überlassen. Sie erwähnten damals
etwas von Liebe und Sorge, davon habe ich dann aber weiter nicht viel
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik