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mußte, um ihn aus dem Weg zu räumen. Und was war es eigentlich hier, jenes
sonstige Leben? Nirgends noch hatte K. Amt und Leben so verflochten
gesehen wie hier, so verflochten, daß es manchmal scheinen konnte, Amt und
Leben hätten ihre Plätze gewechselt. Was bedeutete zum Beispiel die bis jetzt
nur formelle Macht, welche Klamm über K.s Dienst ausübte, verglichen mit
der Macht, die Klamm in K.s Schlafkammer in aller Wirklichkeit hatte. So
kam es, daß hier ein etwas leichtsinnigeres Verfahren, eine gewisse
Entspannung, nur direkt gegenüber den Behörden am Platze war, während
sonst aber immer große Vorsicht nötig war, ein Herumblicken nach allen
Seiten, vor jedem Schritt.
Seine Auffassung der hiesigen Behörden fand K. zunächst beim Vorsteher
sehr bestätigt. Der Vorsteher, ein freundlicher, dicker, glattrasierter Mann, war
krank, hatte einen schweren Gichtanfall und empfing K. im Bett. »Das ist also
unser Herr Landvermesser«, sagte er, wollte sich zur Begrüßung aufrichten,
konnte es aber nicht zustande bringen und warf sich, entschuldigend auf die
Beine zeigend, wieder zurück in die Kissen. Eine stille, im Dämmerlicht des
kleinfenstrigen, durch Vorhänge noch verdunkelten Zimmers fast
schattenhafte Frau brachte K. einen Sessel und stellte ihn zum Bett. »Setzen
Sie sich, setzen Sie sich, Herr Landvermesser«, sagte der Vorsteher, »und
sagen Sie mir Ihre Wünsche.« K. las den Brief Klamms vor und knüpfte
einige Bemerkungen daran. Wieder hatte er das Gefühl der außerordentlichen
Leichtigkeit des Verkehrs mit den Behörden. Sie trugen förmlich jede Last,
alles konnte man ihnen auferlegen, und selbst blieb man unberührt und frei.
Als fühle das in seiner Art auch der Vorsteher, drehte er sich unbehaglich im
Bett. Schließlich sagte er: »Ich habe, Herr Landvermesser, wie Sie ja gemerkt
haben, von der ganzen Sache gewußt. Daß ich selbst noch nichts veranlaßt
habe, hat seinen Grund erstens in meiner Krankheit und dann darin, daß Sie
so lange nicht kamen, ich dachte schon, Sie seien von der Sache
abgekommen. Nun aber, da Sie so freundlich sind, selbst mich aufzusuchen,
muß ich Ihnen freilich die volle, unangenehme Wahrheit sagen. Sie sind als
Landvermesser aufgenommen, wie Sie sagen; aber leider, wir brauchen
keinen Landvermesser. Es wäre nicht die geringste Arbeit für ihn da. Die
Grenzen unserer kleinen Wirtschaften sind abgesteckt, alles ist ordentlich
eingetragen. Besitzwechsel kommt kaum vor, und kleine Grenzstreitigkeiten
regeln wir selbst. Was soll uns also ein Landvermesser?« K. war, ohne daß er
allerdings früher darüber nachgedacht hätte, im Innersten davon überzeugt,
eine ähnliche Mitteilung erwartet zu haben. Eben deshalb konnte er gleich
sagen: »Das überrascht mich sehr. Das wirft alle meine Berechnungen über
den Haufen. Ich kann nur hoffen, daß ein Mißverständnis vorliegt.« – »Leider
nicht,« sagte der Vorsteher, »es ist so, wie ich sage.« – »Aber wie ist das
möglich!« rief K. »Ich habe doch diese endlose Reise nicht gemacht, um jetzt
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik