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wieder zurückgeschickt zu werden!« – »Das ist eine andere Frage«, sagte der
Vorsteher, »die ich nicht zu entscheiden habe aber wie jenes Mißverständnis
möglich war, das kann ich Ihnen allerdings erklären. In einer so großen
Behörde wie der gräflichen kann es einmal vorkommen, daß eine Abteilung
dieses angeordnet, die andere jenes, keine weiß von der anderen, die
übergeordnete Kontrolle ist zwar äußerst genau, kommt aber ihrer Natur nach
zu spät, und so kann immerhin eine kleine Verwirrung entstehen. Immer sind
es freilich nur winzigste Kleinigkeiten wie zum Beispiel Ihr Fall. In großen
Dingen ist mir noch kein Fehler bekannt geworden, aber die Kleinigkeiten
sind oft auch peinlich genug. Was nun Ihren Fall betrifft, so will ich Ihnen,
ohne Amtsgeheimnisse zu machen – dazu bin ich nicht genug Beamter, ich
bin Bauer und dabei bleibt es -, den Hergang offen erzählen. Vor langer Zeit,
ich war damals erst einige Monate Vorsteher, kam ein Erlaß, ich weiß nicht
mehr von welcher Abteilung, in welchem in der den Herren dort
eigentümlichen kategorischen Art mitgeteilt war, daß ein Landvermesser
berufen werden solle, und der Gemeinde aufgetragen war, alle für seine
Arbeiten notwendigen Pläne und Aufzeichnungen bereitzuhalten. Dieser
Erlaß kann natürlich nicht Sie betroffen haben, denn das war vor vielen
Jahren, und ich hätte mich nicht daran erinnert, wenn ich nicht jetzt krank
wäre und im Bett über die lächerlichsten Dinge nachzudenken Zeit genug
hätte.« – »Mizzi«, sagte er, plötzlich seinen Bericht unterbrechend, zu der
Frau, die noch immer in unverständlicher Tätigkeit durch das Zimmer
huschte, »bitte, sieh dort im Schrank nach, vielleicht findest du den Erlaß.« –
»Er ist nämlich«, sagte er erklärend zu K., »aus meiner ersten Zeit, damals
habe ich noch alles aufgehoben.« Die Frau öffnete gleich den Schrank, K. und
der Vorsteher sahen zu. Der Schrank war mit Papieren vollgestopft. Beim
Öffnen rollten zwei große Aktenbündel heraus, welche rund gebunden waren,
so wie man Brennholz zu binden pflegt, die Frau sprang erschrocken zur
Seite. »Unten dürfte es sein, unten«, sagte der Vorsteher, vom Bett aus
dirigierend. Folgsam warf die Frau, mit beiden Armen die Akten
zusammenfassend, alles aus dem Schrank, um zu den unteren Papieren zu
gelangen. Die Papiere bedeckten schon das halbe Zimmer. »Viel Arbeit ist
geleistet worden«, sagte der Vorsteher nickend, »und das ist nur ein kleiner
Teil. Die Hauptmasse habe ich in der Scheune aufbewahrt, und der größte Teil
ist allerdings verlorengegangen. Wer kann das alles zusammenhalten! In der
Scheune ist aber noch sehr viel.« – »Wirst du den Erlaß finden können?«
wandte er sich dann wieder zu seiner Frau. »Du mußt einen Akt suchen, auf
dem das Wort ›Landvermesser‹ blau unterstrichen ist.« – »Es ist zu dunkel
hier«, sagte die Frau, »ich werde eine Kerze holen«, und sie ging über die
Papiere hinweg aus dem Zimmer. »Meine Frau ist mir eine große Stütze«,
sagte der Vorsteher, »in dieser schweren Amtsarbeit, die doch nur nebenbei
geleistet werden muß. Ich habe zwar für die schriftlichen Arbeiten noch eine
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik