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Vorsteher. »Mizzi, bitte, such ein wenig schneller! Ich kann Ihnen jedoch
zunächst die Geschichte auch ohne Akten erzählen. Jenen Erlaß, von dem ich
schon sprach, beantworteten wir dankend damit, daß wir keinen
Landvermesser brauchen. Diese Antwort scheint aber nicht an die
ursprüngliche Abteilung, ich will sie A nennen, zurückgelangt zu sein,
sondern irrtümlicherweise an eine andere Abteilung B. Die Abteilung A blieb
also ohne Antwort, aber leider bekam auch B nicht unsere ganze Antwort; sei
es, daß der Akteninhalt bei uns zurückgeblieben war, sei es, daß er auf dem
Weg verlorengegangen ist – in der Abteilung selbst gewiß nicht, dafür will ich
bürgen -, jedenfalls kam auch in der Abteilung B nur ein Aktenumschlag an,
auf dem nichts weiter vermerkt war, als daß der einliegende, leider in
Wirklichkeit aber fehlende Akt von der Berufung eines Landvermessers
handle. Die Abteilung A wartete inzwischen auf unsere Antwort, sie hatte
zwar Vermerke über die Angelegenheit, aber wie das begreiflicherweise öfters
geschieht und bei der Präzision aller Erledigungen geschehen darf, verließ
sich der Referent darauf, daß wir antworten würden und daß er dann entweder
den Landvermesser berufen oder nach Bedürfnis weiter über die Sache mit
uns korrespondieren würde. Infolgedessen vernachlässigte er die Vormerke,
und das Ganze geriet bei ihm in Vergessenheit. In der Abteilung B kam aber
der Aktenumschlag an einen wegen seiner Gewissenhaftigkeit berühmten
Referenten, Sordini heißt er, ein Italiener; es ist selbst mir einem
Eingeweihten, unbegreiflich, warum ein Mann von seinen Fähigkeiten in der
fast untergeordneten Stellung gelassen wird. Dieser Sordini schickte uns
natürlich den leeren Aktenumschlag zur Ergänzung zurück. Nun waren aber
seit jenem ersten Schreiben der Abteilung A schon viele Monate, wenn nicht
Jahre vergangen; begreiflicherweise, denn wenn, wie es die Regel ist, ein Akt
den richtigen Weg geht, gelangt er an seine Abteilung spätestens in einem Tag
und wird am gleichen Tag noch erledigt; wenn er aber einmal den Weg
verfehlt – und er muß bei der Vorzüglichkeit der Organisation den falschen
Weg förmlich mit Eifer suchen, sonst findet er ihn nicht -, dann, dann dauert
es freilich sehr lange. Als wir daher Sordinis Note bekamen, konnten wir uns
an die Angelegenheit nur noch ganz unbestimmt erinnern, wir waren damals
nur zwei für die Arbeit, Mizzi und ich, der Lehrer war mir damals noch nicht
zugeteilt, Kopien bewahrten wir nur in den wichtigsten Angelegenheiten auf,
kurz, wir konnten nur sehr unbestimmt antworten, daß wir von einer solchen
Berufung nichts wüßten und daß nach einem Landvermesser bei uns kein
Bedarf sei.«
»Aber«, unterbrach sich hier der Vorsteher, als sei er im Eifer des Erzählens
zu weit gegangen oder als sei es wenigstens möglich, daß er zu weit gegangen
sei, »langweilt Sie die Geschichte nicht?«
»Nein«, sagte K. »Sie unterhält mich.«
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik