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hat, wird dort ununterbrochen telefoniert, was natürlich das Arbeiten sehr
beschleunigt. Dieses ununterbrochene Telefonieren hören wir in den hiesigen
Telefonen als Rauschen und Gesang, das haben Sie gewiß auch gehört. Nun
ist aber dieses Rauschen und dieser Gesang das einzig Richtige und
Vertrauenswerte, was uns die hiesigen Telefone übermitteln, alles andere ist
trügerisch. Es gibt keine bestimmte telefonische Verbindung mit dem Schloß,
keine Zentralstelle, welche unsere Anrufe weiterleitet; wenn man von hier aus
im Schloß anruft, läutet es dort bei allen Apparaten der untersten Abteilungen
oder vielmehr, es würde bei allen läuten, wenn nicht, wie ich bestimmt weiß,
bei fast allen dieses Läutewerk abgestellt wäre. Hier und da aber hat ein
übermüdeter Beamter das Bedürfnis, sich ein wenig zu zerstreuen, besonders
am Abend oder bei Nacht, und schaltet das Läutewerk ein; dann bekommen
wir Antwort, allerdings eine Antwort, die nichts ist als Scherz. Es ist das ja
auch sehr verständlich. Wer darf denn Anspruch erheben, wegen seiner
privaten kleinen Sorgen mitten in die wichtigsten und immer rasend vor sich
gehenden Arbeiten hineinzuläuten? Ich begreife auch nicht, wie selbst ein
Fremder glauben kann, daß, wenn er zum Beispiel Sordini anruft, es auch
wirklich Sordini ist, der ihm antwortet. Vielmehr ist es wahrscheinlich ein
kleiner Registrator einer ganz anderen Abteilung. Dagegen kann es allerdings
in auserlesener Stunde geschehen, daß, wenn man den kleinen Registrator
anruft, Sordini selbst die Antwort gibt. Dann freilich ist es besser, man läuft
vom Telefon weg, ehe der erste Laut zu hören ist.«
»So habe ich das allerdings nicht angesehen«, sagte K., »diese Einzelheiten
konnte ich nicht wissen; viel Vertrauen hatte ich zu diesen telefonischen
Gesprächen nicht und war mir immer bewußt, daß nur das wirkliche
Bedeutung hat, was man geradezu im Schloß erfährt oder erreicht.«
»Nein«, sagte der Vorsteher, an einem Wort sich festhaltend, »wirkliche
Bedeutung kommt diesen telefonischen Antworten durchaus zu, wie denn
nicht? Wie sollte eine Auskunft, die ein Beamter aus dem Schloß gibt,
bedeutungslos sein? Ich sagte es schon gelegentlich des Klammschen Briefes;
alle diese Äußerungen haben keine amtliche Bedeutung; wenn Sie ihnen
amtliche Bedeutung zuschreiben, gehen Sie in die Irre; dagegen ist ihre
private Bedeutung in freundschaftlichem oder feindseligem Sinne sehr groß,
meist größer, als eine amtliche Bedeutung jemals sein könnte.«
»Gut«, sagte K., »angenommen, daß sich alles so verhält, dann hätte ich
also eine Menge guter Freunde im Schloß; genau besehen, war schon damals
vor vielen Jahren der Einfall jener Abteilung, man könnte einmal einen
Landvermesser kommen lassen, ein Freundschaftsakt mir gegenüber, und in
der Folgezeit reihte sich dann einer an den anderen, bis ich dann, allerdings zu
bösem Ende, hergelockt wurde und man mir mit dem Hinauswurf droht.«
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik