Seite - 65 - in Das Schloss
Bild der Seite - 65 -
Text der Seite - 65 -
mit anderen Gedanken beschäftigt, fügte sie zerstreut hinzu: »Warum solltest
denn gerade du bleiben?« Aber als sich alle in die Küche zurückgezogen
hatten – auch die Gehilfen folgten diesmal gleich, allerdings waren sie hinter
einer Magd her -, war Gardena doch aufmerksam genug, um zu erkennen, daß
man aus der Küche alles hören konnte, was hier gesprochen wurde, denn der
Verschlag hatte keine Tür, und so befahl sie allen, auch die Küche zu
verlassen. Es geschah sofort.
»Bitte«, sagte dann Gardena, »Herr Landvermesser, gleich vorn im Schrank
hängt ein Umhängetuch, reichen Sie es mir, ich will mich damit zudecken, ich
ertrage das Federbett nicht, ich atme so schwer.« Und als ihr K. das Tuch
gebracht hatte, sagte sie: »Sehen Sie, das ist ein schönes Tuch, nicht wahr?«
K. schien es ein gewöhnliches Wolltuch zu sein, er befühlte es nur aus
Gefälligkeit noch einmal, sagte aber nichts. »Ja, es ist ein schönes Tuch«,
sagte Gardena und hüllte sich ein. Sie lag nun friedlich da; alles Leid schien
von ihr genommen zu sein, ja sogar ihre vom Liegen in Unordnung
gebrachten Haare fielen ihr ein, sie setzte sich für ein Weilchen auf und
verbesserte die Frisur ein wenig rings um das Häubchen. Sie hatte reiches
Haar.
K. wurde ungeduldig und sagte: »Sie ließen mich, Frau Wirtin, fragen, ob
ich schon eine andere Wohnung habe.« – »Ich ließ Sie fragen?« sagte die
Wirtin. »Nein, das ist ein Irrtum.« – »Ihr Mann hat mich eben jetzt danach
gefragt.« – »Das glaube ich«, sagte die Wirtin, »ich bin mit ihm geschlagen.
Als ich Sie nicht hier haben wollte, hat er Sie hier gehalten, jetzt, da ich
glücklich bin, daß Sie hier wohnen, treibt er Sie fort. So ähnlich macht er es
immer« »Sie haben also«, sagte K., »Ihre Meinung über mich so sehr
geändert? In ein, zwei Stunden?« – »Ich habe meine Meinung nicht
geändert«, sagte die Wirtin, wieder schwächer, »reichen Sie mir Ihre Hand.
So. Und nun versprechen Sie mir, völlig aufrichtig zu sein, auch ich will es
Ihnen gegenüber sein.« – »Gut«, sagte K., »wer wird aber anfangen?« –
»Ich«, sagte die Wirtin. Es machte nicht den Eindruck, als wolle sie K. damit
entgegenkommen, sondern als sei sie begierig, als erste zu reden.
Sie zog eine Fotografie unter dem Polster hervor und reichte sie K. »Sehen
Sie dieses Bild an«, sagte sie bittend. Um es besser zu sehen, machte K. einen
Schritt in die Küche, aber auch dort war es nicht leicht, etwas auf dem Bild zu
erkennen, denn dieses war vom Alter ausgebleicht, vielfach gebrochen,
zerdrückt und fleckig. »Es ist in keinem sehr guten Zustand«, sagte K.
»Leider, leider«, sagte die Wirtin, »wenn man es durch Jahre immer bei sich
herumträgt, wird es so. Aber wenn Sie es genau ansehen, werden Sie doch
alles erkennen, ganz gewiß. Ich kann Ihnen übrigens helfen, sagen Sie mir,
was Sie sehen, es freut mich sehr, von dem Bild zu hören. Was also? « –
65
zurück zum
Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik