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»Frau Wirtin«, sagte K. warnend.
»Ich weiß«, sagte die Wirtin, sich fügend, »aber mein Mann hat solche
Fragen nicht gestellt. Ich weiß nicht, wer unglücklich zu nennen ist, ich
damals oder Frieda jetzt. Frieda, die mutwillig Klamm verließ, oder ich, die er
nicht mehr hat rufen lassen. Vielleicht ist es doch Frieda, wenn sie es auch
noch nicht in vollem Umfang zu wissen scheint. Aber meine Gedanken
beherrschte doch mein Unglück damals ausschließlicher, denn immerfort
mußte ich mich fragen und höre im Grunde auch heute noch nicht auf, so zu
fragen: Warum ist das geschehen? Dreimal hat dich Klamm rufen lassen und
zum viertenmal nicht mehr und niemals mehr zum viertenmal! Was
beschäftigte mich damals mehr? Worüber konnte ich denn sonst mit meinem
Mann sprechen, den ich damals kurz nachher heiratete? Bei Tag hatten wir
keine Zeit, wir hatten dieses Wirtshaus in einem elenden Zustand
übernommen und mußten es in die Höhe zu bringen suchen, aber in der
Nacht? Jahrelang drehten sich unsere nächtlichen Gespräche nur um Klamm
und die Gründe seiner Sinnesänderung. Und wenn mein Mann bei diesen
Unterhaltungen einschlief, weckte ich ihn, und wir sprachen weiter.«
»Nun werde ich«, sagte K., »wenn Sie erlauben, eine sehr grobe Frage
stellen.«
Die Wirtin schwieg.
»Ich darf also nicht fragen«, sagte K., »auch das genügt mir.«
»Freilich«, sagte die Wirtin, »auch das genügt Ihnen, und das besonders.
Sie mißdeuten alles, auch das Schweigen. Sie können eben nicht anders. Ich
erlaube Ihnen zu fragen.«
»Wenn ich alles mißdeute«, sagte K., »mißdeute ich vielleicht auch meine
Frage, vielleicht ist sie gar nicht so grob. Ich wollte nur wissen, wie Sie Ihren
Mann kennengelernt haben und wie dieses Wirtshaus in Ihren Besitz
gekommen ist?«
Die Wirtin runzelte die Stirn, sagte aber gleichmütig: »Das ist eine sehr
einfache Geschichte. Mein Vater war Schmied, und Hans, mein jetziger
Mann, der Pferdeknecht bei einem Großbauern war, kam öfters zu meinem
Vater. Es war damals nach der letzten Zusammenkunft mit Klamm, ich war
sehr unglücklich und hätte es eigentlich nicht sein dürfen, denn alles war ja
korrekt vor sich gegangen, und daß ich nicht mehr zu Klamm durfte, war eben
Klamms Entscheidung, war also korrekt; nur die Gründe waren dunkel, in
denen durfte ich nicht forschen, aber unglücklich hätte ich nicht sein dürfen.
Nun, ich war es doch und konnte nicht arbeiten und saß in unserem
Vorgärtchen, den ganzen Tag. Dort sah mich Hans, setzte sich manchmal zu
mir, ich klagte ihm nicht, aber er wußte, worum es ging, und weil er ein guter
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik