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dicken, ein wenig rundrückigen Körpers konnte ihr zwar den Besitz nicht
entreißen, konnte aber an ihn rühren und aufmuntern für den schweren Weg.
Dann war es vielleicht nicht anders als bei Frieda? O doch, es war anders.
Man mußte nur an Friedas Blick denken, um das zu verstehen. Niemals hätte
K. Pepi angerührt. Aber doch mußte er jetzt für ein Weilchen seine Augen
bedecken, so gierig sah er sie an.
»Es muß ja nicht angezündet sein«, sagte Pepi und drehte das Licht wieder
aus, »ich habe nur angezündet, weil Sie mich so sehr erschreckt haben. Was
wollen Sie denn hier? Hat Frieda etwas vergessen?« – »Ja«, sagte K. und
zeigte auf die Tür, »hier im Zimmer nebenan eine Tischdecke, eine weiße,
gestrickte.« – »Ja, ihre Tischdecke«, sagte Pepi, »ich erinnere mich, eine
schöne Arbeit, ich habe ihr dabei geholfen, aber in diesem Zimmer ist sie
wohl kaum.« – »Frieda glaubt es. Wer wohnt denn hier?« fragte K.
»Niemand«, sagte Pepi. »Es ist das Herrenzimmer, hier trinken und essen die
Herren, das heißt, es ist dafür bestimmt, aber die meisten bleiben oben in
ihren Zimmern.« – »Wenn ich wüßte«, sagte K., »daß jetzt nebenan niemand
ist, würde ich sehr gerne hineingehen und die Decke suchen. Aber es ist eben
unsicher; Klamm, zum Beispiel, pflegt oft dort zu sitzen.« – »Klamm ist jetzt
gewiß nicht dort«, sagte Pepi, »er fährt ja gleich weg, der Schlitten wartet
schon im Hof.«
Sofort, ohne ein Wort der Erklärung, verließ K. den Ausschank, wandte
sich im Flur anstatt zum Ausgang gegen das Innere des Hauses und hatte nach
wenigen Schritten den Hof erreicht. Wie still und schön es hier war! Ein
viereckiger Hof, auf drei Seiten vom Hause, gegen die Straße zu – eine
Nebenstraße, die K. nicht kannte – von einer hohen, weißen Mauer mit einem
großen, schweren, jetzt offenen Tor begrenzt. Hier, auf der Hofseite, schien
das Haus höher als auf der Vorderseite, wenigstens war der erste Stock
vollständig ausgebaut und hatte ein größeres Ansehen, denn er war von einer
hölzernen, bis auf einen kleinen Spalt in Augenhöhe geschlossenen Galerie
umlaufen. K. schief gegenüber, noch im Mitteltrakt, aber schon im Winkel,
wo sich der gegenüberliegende Seitenflügel anschloß, war ein Eingang ins
Haus, offen, ohne Tür. Davor stand ein dunkler, geschlossener, mit zwei
Pferden bespannter Schlitten. Bis auf den Kutscher, den K. auf die Entfernung
hin jetzt in der Dämmerung mehr vermutete als erkannte, war niemand zu
sehen.
Die Hände in den Taschen, vorsichtig sich umschauend, nahe an der Mauer,
umging K. zwei Seiten des Hofes, bis er beim Schlitten war. Der Kutscher,
einer jener Bauern, die letzthin im Ausschank gewesen waren, hatte ihn, im
Pelz versunken, teilnahmslos herankommen sehen, so wie man etwa den Weg
einer Katze verfolgt. Auch als K. schon bei ihm stand, grüßte, und sogar die
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik