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wissen mußte, daß er im Schlitten war, und ihn dort ließ, sogar ohne den
Kognak von ihm zu fordern. Das war rücksichtsvoll, aber K. wollte ihn ja
bedienen. Schwerfällig, ohne seine Lage zu verändern, langte er nach der
Seitentasche, aber nicht in der offenen Tür, die zu weit entfernt war, sondern
hinter sich in die geschlossene, nun, es war gleichgültig, auch in dieser waren
Flaschen. Er holte eine hervor, schraubte den Verschluß auf und roch daran,
unwillkürlich mußte er lächeln, der Geruch war so süß, so schmeichelnd, so
wie man von jemand, den man sehr lieb hat, Lob und gute Worte hört und gar
nicht genau weiß, worum es sich handelt, und es gar nicht wissen will und nur
glücklich ist in dem Bewußtsein, daß er es ist, der so spricht. »Sollte das
Kognak sein?« fragte sich K. zweifelnd und kostete aus Neugier. Doch, es
war Kognak, merkwürdigerweise, und brannte und wärmte. Wie es sich beim
Trinken verwandelte, aus etwas, das fast nur Träger süßen Duftes war, in ein
kutschermäßiges Getränk! »Ist es möglich?« fragte sich K., wie vorwurfsvoll
gegen sich selbst, und trank noch einmal.
Da – K. war gerade in einem langen Schluck befangen – wurde es hell, das
elektrische Licht brannte, innen auf der Treppe, im Gange, im Flur, außen
über dem Eingang. Man hörte Schritte die Treppe herabkommen, die Flasche
entfiel K.s Hand, der Kognak ergoß sich über einen Pelz, K. sprang aus dem
Schlitten, gerade hatte er noch die Tür zuschlagen können, was einen
dröhnenden Lärm gab, als kurz darauf ein Herr langsam aus dem Hause trat.
Das einzig Tröstliche schien, daß es nicht Klamm war, oder war gerade dieses
zu bedauern? Es war der Herr, den K. schon im Fenster des ersten Stockes
gesehen hatte. Ein junger Herr, äußerst wohlaussehend, weiß und rot, aber
sehr ernst. Auch K. sah ihn düster an, aber er meinte sich selbst mit diesem
Blick. Hätte er doch lieber seine Gehilfen hergeschickt; sich so zu benehmen,
wie er es getan hatte, hätten auch sie verstanden. Ihm gegenüber der Herr
schwieg noch, so, als hätte er für das zu Sagende nicht genug Atem in seiner
überbreiten Brust. »Das ist ja entsetzlich«, sagte er dann und schob seinen
Hut ein wenig aus der Stirn. Wie? Der Herr wußte doch wahrscheinlich nichts
von K.s Aufenthalt im Schlitten und fand schon irgend etwas entsetzlich?
Etwa daß K. bis in den Hof gedrungen war? »Wie kommen Sie denn
hierher?« fragte der Herr schon leiser, schon ausatmend, sich ergebend in das
Unabänderliche. Was für Fragen! Was für Antworten! Sollte etwa K. noch
ausdrücklich selbst dem Herrn bestätigen, daß sein mit soviel Hoffnungen
begonnener Weg vergebens gewesen war? Statt zu antworten, wandte sich K.
zum Schlitten, öffnete ihn und holte seine Mütze, die er darin vergessen hatte.
Mit Unbehagen merkte er, wie der Kognak auf das Trittbrett tropfte.
Dann wandte er sich wieder dem Herrn zu; ihm zu zeigen, daß er im
Schlitten gewesen war, hatte er nun keine Bedenken mehr, es war auch nicht
das schlimmste; wenn er gefragt würde, allerdings nur dann, wollte er nicht
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik