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verschweigen, daß ihn der Kutscher selbst zumindest zum Öffnen des
Schlittens veranlaßt hatte. Das eigentlich Schlimme aber war ja, daß ihn der
Herr überrascht hatte, daß nicht genug Zeit mehr gewesen war, sich vor ihm
zu verstecken, um dann ungestört auf Klamm warten zu können, oder daß er
nicht genug Geistesgegenwart gehabt hatte, im Schlitten zu bleiben, die Tür
zu schließen und dort auf den Pelzen Klamm zu erwarten oder dort
wenigstens zu bleiben, solange dieser Herr in der Nähe war. Freilich, er hatte
ja nicht wissen können, ob nicht vielleicht doch schon jetzt Klamm selbst
komme, in welchem Fall es natürlich viel besser gewesen wäre, ihn außerhalb
des Schlittens zu empfangen. Ja, es war mancherlei hier zu bedenken
gewesen, jetzt aber gar nichts mehr, denn es war zu Ende.
»Kommen Sie mit mir«, sagte der Herr, nicht eigentlich befehlend, aber der
Befehl lag nicht in den Worten, sondern in einem sie begleitenden kurzen,
absichtlich gleichgültigen Schwenken der Hand. »Ich warte hier auf
jemanden«, sagte K., nicht mehr in Hoffnung auf irgendeinen Erfolg, sondern
nur grundsätzlich. »Kommen Sie«, sagte der Herr nochmals ganz unbeirrt, so,
als wolle er zeigen, daß er niemals daran gezweifelt habe, daß K. auf
jemanden warte. »Aber ich verfehle dann den, auf den ich warte«, sagte K.
mit einem Zucken des Körpers. Trotz allem, was geschehen war, hatte er das
Gefühl, daß das, was er bisher erreicht hatte, eine Art Besitz war, den er zwar
nur noch scheinbar festhielt, aber doch nicht auf einen beliebigen Befehl hin
ausliefern mußte. »Sie verfehlen ihn auf jeden Fall, ob Sie warten oder
gehen«, sagte der Herr, zwar schroff in seiner Meinung, aber auffallend
nachgiebig für K.s Gedankengang. »Dann will ich ihn lieber beim Warten
verfehlen«, sagte K. trotzig, durch bloße Worte dieses jungen Herrn würde er
sich gewiß nicht von hier vertreiben lassen. Darauf schloß der Herr mit einem
überlegenen Ausdruck des zurückgelehnten Gesichtes für ein Weilchen die
Augen, so, als wolle er von K.s Unverständigkeit wieder zu seiner eigenen
Vernunft zurückkehren, umlief mit der Zungenspitze die Lippen des ein wenig
geöffneten Mundes und sagte dann zum Kutscher: »Spannen Sie die Pferde
aus.«
Der Kutscher, ergeben dem Herrn, aber mit einem bösen Seitenblick auf K.,
mußte nun doch im Pelz heruntersteigen und begann, sehr zögernd, so, als
erwarte er nicht vom Herrn einen Gegenbefehl, aber von K. eine
Sinnesänderung, die Pferde mit dem Schlitten rückwärts näher zum
Seitenflügel zurückzuführen, in welchem offenbar hinter einem großen Tor
der Stall mit dem Wagenschuppen untergebracht war. K. sah sich allein
zurückbleiben; auf der einen Seite entfernte sich der Schlitten, auf der
anderen, auf dem Weg, den K. gekommen war, der junge Herr, beide
allerdings sehr langsam, so, als wollten sie K. zeigen, daß es noch in seiner
Macht gelegen sei, sie zurückzuholen.
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik