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sagen sie jetzt – nun, es sind Kinder -.«
Zwar schüttelten die Gehilfen während Friedas Erklärung immerfort die
Köpfe, zeigten weiter auf K. und strengten sich an, durch stummes
Mienenspiel Frieda von ihrer Meinung abzubringen; da es ihnen aber nicht
gelang, fügten sie sich endlich, nahmen Friedas Worte als Befehl, und auf
eine neuerliche Frage des Lehrers antworteten sie nicht mehr. »So«, sagte der
Lehrer, »ihr habt also gelogen? Oder wenigstens leichtsinnig den Schuldiener
beschuldigt?« Sie schwiegen noch immer, aber ihr Zittern und ihre
ängstlichen Blicke schienen auf Schuldbewußtsein zu deuten. »Dann werde
ich euch sofort durchprügeln«, sagte der Lehrer und schickte ein Kind ins
andere Zimmer um den Rohrstab. Als er dann den Stab hob, rief Frieda: »Die
Gehilfen haben ja die Wahrheit gesagt«, warf verzweifelt den Lappen in den
Eimer, daß das Wasser aufspritzte, und lief hinter den Barren, wo sie sich
versteckte. »Ein verlogenes Volk«, sagte die Lehrerin, die den Verband der
Pfote eben beendigt hatte und das Tier auf den Schoß nahm, für den es fast zu
breit war.
»Bleibt also der Herr Schuldiener«, sagte der Lehrer, stieß die Gehilfen fort
und wandte sich K. zu, der während der ganzen Zeit, auf den Besen gestützt,
zugehört hatte: »Dieser Herr Schuldiener, der aus Feigheit ruhig zugibt, daß
man andere fälschlich seiner eigenen Lumpereien beschuldigt.« – »Nun«,
sagte K., der wohl merkte, daß Friedas Dazwischentreten den ersten
hemmungslosen Zorn des Lehrers doch gemildert hatte, »wenn die Gehilfen
ein wenig durchgeprügelt worden wären, hätte es mir nicht leid getan; wenn
sie bei zehn gerechten Anlässen geschont worden sind, können sie es einmal
bei einem ungerechten abbüßen. Aber auch sonst wäre es mir willkommen
gewesen, wenn ein unmittelbarer Zusammenstoß zwischen mir und Ihnen,
Herr Lehrer, vermieden worden wäre, vielleicht wäre es sogar auch Ihnen
lieb. Da nun aber Frieda mich den Gehilfen geopfert hat -«, hier machte K.
eine Pause, man hörte in der Stille hinter den Decken Frieda schluchzen -,
»muß nun natürlich die Sache ins reine gebracht werden.« – »Unerhört«,
sagte die Lehrerin. »Ich bin völlig Ihrer Meinung, Fräulein Gisa«, sagte der
Lehrer. »Sie, Schuldiener, sind natürlich wegen dieses schändlichen
Dienstvergehens auf der Stelle entlassen; die Strafe, die noch folgen wird,
behalte ich mir vor, jetzt aber scheren Sie sich sofort mit allen Ihren Sachen
aus dem Haus. Es wird uns eine wahre Erleichterung sein, und der Unterricht
wird endlich beginnen können. Also schleunig!« – »Ich rühre mich von hier
nicht fort«, sagte K. »Sie sind mein Vorgesetzter, aber nicht derjenige,
welcher mir die Stelle verliehen hat, das ist der Herr Gemeindevorsteher, nur
seine Kündigung nehme ich an. Er aber hat mir die Stelle doch wohl nicht
gegeben, daß ich hier mit meinen Leuten erfriere, sondern – wie Sie selbst
sagten – damit er unbesonnene Verzweiflungstaten meinerseits verhindert.
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik