Seite - 113 - in Das Schloss
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von allem wußte, verständigte sie doch K. förmlich davon, daß er die
Gehilfen entlassen hatte. Sie nickte nur. K. saß in einer Schulbank und
beobachtete ihre müden Bewegungen. Es war immer die Frische und
Entschlossenheit gewesen, welche ihren nichtigen Körper verschönt hatte;
nun war diese Schönheit dahin. Wenige Tage des Zusammenlebens mit K.
hatten genügt, das zu erreichen. Die Arbeit im Ausschank war nicht leicht
gewesen, aber ihr wahrscheinlich doch entsprechender. Oder war die
Entfernung von Klamm die eigentliche Ursache ihres Verfalles? Die Nähe
Klamms hatte sie so unsinnig verlockend gemacht, in dieser Verlockung hatte
sie K. an sich gerissen, und nun verwelkte sie in seinen Armen.
»Frieda«, sagte K. Sie legte gleich die Kaffeemühle fort und kam zu K. in
die Bank. »Du bist mir böse?« fragte sie. »Nein«, sagte K. »Ich glaube, du
kannst nicht anders. Du hast zufrieden im Herrenhof gelebt. Ich hätte dich
dort lassen sollen.« – »Ja«, sagte Frieda und sah traurig vor sich hin, »du
hättest mich dort lassen sollen. Ich bin dessen nicht wert, mit dir zu leben.
Von mir befreit, könntest du vielleicht alles erreichen, was du willst. Aus
Rücksicht auf mich unterwirfst du dich dem tyrannischen Lehrer, übernimmst
du diesen kläglichen Posten, bewirbst dich mühevoll um ein Gespräch mit
Klamm. Alles für mich, aber ich lohne es dir schlecht.« »Nein«, sagte K. und
legte tröstend den Arm um sie. »Alles das sind Kleinigkeiten, die mir nicht
weh tun, und zu Klamm will ich ja nicht nur deinetwegen. Und was hast du
alles für mich getan! Ehe ich dich kannte, ging ich ja hier ganz in die Irre.
Niemand nahm mich auf, und wem ich mich aufdrängte, der verabschiedete
mich schnell. Und wenn ich bei jemandem Ruhe hätte finden können, so
waren es Leute, vor denen wieder ich mich flüchtete, etwa die Leute des
Barnabas.« – »Du flüchtetest vor ihnen? Nicht wahr? Liebster!« rief Frieda
lebhaft dazwischen und versank dann nach einem zögernden »Ja« K.s wieder
in ihre Müdigkeit. Aber auch K. hatte nicht mehr die Entschlossenheit, zu
erklären, worin sich durch die Verbindung mit Frieda alles zum Guten für ihn
gewendet hatte. Er löste langsam den Arm von ihr und saß ein Weilchen
schweigend, bis dann Frieda, so, als hätte K.s Arm ihr Wärme gegeben, die
sie jetzt nicht mehr entbehren könne, sagte: »Ich werde dieses Leben hier
nicht ertragen. Willst du mich behalten, müssen wir auswandern,
irgendwohin, nach Südfrankreich, nach Spanien.« – »Auswandern kann ich
nicht«, sagte K., »ich bin hierhergekommen, um hier zu bleiben. Ich werde
hierbleiben.« Und in einem Widerspruch, den er gar nicht zu erklären sich
Mühe gab, fügte er wie im Selbstgespräch zu: »Was hätte mich denn in dieses
öde Land locken können, als das Verlangen hierzubleiben?« Dann sagte er:
»Aber auch du willst hierbleiben, es ist ja dein Land. Nur Klamm fehlt dir,
und das bringt dich auf verzweifelte Gedanken.« – »Klamm sollte mir
fehlen?« sagte Frieda. »Von Klamm ist hier ja eine Überfülle, zu viel Klamm;
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik