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dürfe kein fremder Besuch kommen, weil sie sehr schonungsbedürftig sei;
obwohl doch K. damals kaum mit ihr gesprochen habe, sei sie nachher einige
Tage im Bett gelegen, was freilich öfters geschehe. Der Vater habe sich
damals aber über K. sehr geärgert, und er würde gewiß niemals erlauben, daß
K. zur Mutter komme; ja, er habe damals K. aufsuchen wollen, um ihn wegen
seines Benehmens zu strafen, nur die Mutter habe ihn davon zurückgehalten.
Vor allem aber wolle die Mutter selbst im allgemeinen mit niemandem
sprechen, und ihre Frage nach K. bedeutete keine Ausnahme von der Regel,
im Gegenteil, gerade gelegentlich seiner Erwähnung hätte sie den Wunsch
aussprechen können, ihn zu sehen, aber sie habe dies nicht getan und damit
deutlich ihren Willen geäußert. Sie wolle nur von K. hören, aber mit ihm
sprechen wolle sie nicht. Übrigens sei es gar keine eigentliche Krankheit,
woran sie leide, sie wisse sehr wohl die Ursache ihres Zustandes, und
manchmal deute sie sie auch an: Es sei wahrscheinlich die Luft hier, die sie
nicht vertrage; aber sie wolle doch auch wieder den Ort nicht verlassen, des
Vaters und der Kinder wegen, auch sei es schon besser, als es früher gewesen
war. Das war es etwa, was K. erfuhr, die Denkkraft Hansens steigerte sich
sichtlich, da er seine Mutter vor K. schützen sollte, vor K., dem er angeblich
hatte helfen wollen; ja, zu dem guten Zwecke, K. von der Mutter abzuhalten,
widersprach er in manchem sogar seinen eigenen früheren Aussagen, zum
Beispiel hinsichtlich der Krankheit. Trotzdem aber merkte K. auch jetzt, daß
Hans ihm noch immer gutgesinnt war, nur vergaß er über der Mutter alles
andere; wen immer man gegenüber der Mutter aufstellte, er kam gleich ins
Unrecht, jetzt war es K. gewesen, aber es konnte zum Beispiel auch der Vater
sein. K. wollte dieses letztere versuchen und sagte, es sei gewiß sehr
vernünftig vom Vater, daß er die Mutter vor jeder Störung so behüte, und
wenn er, K., damals etwas Ähnliches nur geahnt hätte, hätte er gewiß die
Mutter nicht anzusprechen gewagt, und er lasse jetzt noch nachträglich zu
Hause um Entschuldigung bitten. Dagegen könne er nicht ganz verstehen,
warum der Vater, wenn die Ursache des Leidens so klargestellt sei, wie Hans
sagte, die Mutter zurückhalte, sich in anderer Luft zu erholen; man müsse
sagen, daß er sie zurückhalte, denn sie gehe nur der Kinder und seinetwegen
nicht fort, die Kinder aber könnte sie mitnehmen, sie müßte ja nicht für lange
Zeit fortgehen und auch nicht sehr weit, schon oben auf dem Schloßberg sei
die Luft ganz anders. Die Kosten eines solchen Ausflugs müsse der Vater
nicht fürchten, er sei ja der größte Schuster im Ort, und gewiß habe auch er
oder die Mutter Verwandte oder Bekannte im Schloß, die sie gern aufnehmen
würden. Warum lasse er sie nicht fort? Er möge ein solches Leiden nicht
unterschätzen; K. habe ja die Mutter nur flüchtig gesehen, aber eben ihre
auffallende Blässe und Schwäche habe ihn dazu bewogen, sie anzusprechen;
schon damals habe er sich gewundert, daß der Vater in der schlechten Luft des
allgemeinen Bade- und Waschraumes die kranke Frau gelassen und sich auch
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik