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erstaunt und fragte, ob ihm Olga etwas Besonderes mitteilen wollte. Amalia
verzog wie in leichtem Ärger den Mund, nickte K. schweigend zu – es war
deutlich eine Verabschiedung – und legte sich wieder zurück. Aus der
Ruhelage musterte sie ihn, so, als wundere sie sich, daß er noch da sei. Ihr
Blick war kalt, klar, unbeweglich wie immer; er war nicht geradezu auf das
gerichtet, was sie beobachtete, sondern ging – das war störend – ein wenig,
kaum merklich, aber zweifellos daran vorbei, es schien nicht Schwäche zu
sein, nicht Verlegenheit, nicht Unehrlichkeit, die das verursachte, sondern ein
fortwährendes, jedem anderen Gefühl überlegenes Verlangen nach
Einsamkeit, das vielleicht ihr selbst nur auf diese Weise zu Bewußtsein kam.
K. glaubte sich zu erinnern, daß dieser Blick schon am ersten Abend ihn
beschäftigt hatte, ja, daß wahrscheinlich der ganze häßliche Eindruck, den
diese Familie gleich auf ihn gemacht hatte, auf diesen Blick zurückging, der
für sich selbst nicht häßlich war, sondern stolz und in seiner Verschlossenheit
aufrichtig. »Du bist immer so traurig, Amalia«, sagte K., »quält dich etwas?
Kannst du es nicht sagen? Ich habe ein Landmädchen wie dich noch nicht
gesehen. Erst heute, erst jetzt ist es mir eigentlich aufgefallen. Stammst du
hier aus dem Dorf? Bist du hier geboren?« Amalia bejahte es, so, als habe K.
nur die letzte Frage gestellt, dann sagte sie: »Du wirst also doch auf Olga
warten?« – »Ich weiß nicht, warum du immerfort das gleiche fragst«, sagte K.
»Ich kann nicht länger bleiben, weil zu Hause meine Braut wartet.«
Amalia stützte sich auf den Ellbogen, sie wußte von keiner Braut. K.
nannte den Namen. Amalia kannte sie nicht. Sie fragte, ob Olga von der
Verlobung wisse; K. glaubte es wohl, Olga habe ihn ja mit Frieda gesehen,
auch verbreiten sich im Dorf solche Nachrichten schnell. Amalia versicherte
ihm aber, daß Olga es nicht wisse und daß es sie sehr unglücklich machen
werde, denn sie scheine K. zu lieben. Offen habe sie davon nicht gesprochen,
denn sie sei sehr zurückhaltend, aber Liebe verrate sich ja unwillkürlich. K.
war überzeugt, daß sich Amalia irre. Amalia lächelte, und dieses Lächeln,
obwohl es traurig war, erhellte das düster zusammengezogene Gesicht,
machte die Stummheit sprechend, machte die Fremdheit vertraut, war die
Preisgabe eines Geheimnisses, die Preisgabe eines bisher gehüteten Besitzes,
der zwar wieder zurückgenommen werden konnte, aber niemals mehr ganz.
Amalia sagte, sie irre sich gewiß nicht; ja, sie wisse noch mehr, sie wisse, daß
auch K. Zuneigung zu Olga habe und daß seine Besuche, die irgendwelche
Botschaften des Barnabas zum Vorwand haben, in Wirklichkeit nur Olga
gelten. Jetzt aber, da Amalia von allem wisse, müsse er es nicht mehr so
streng nehmen und dürfe öfters kommen. Nur dieses habe sie ihm sagen
wollen. K. schüttelte den Kopf und erinnerte an seine Verlobung. Amalia
schien nicht viele Gedanken an diese Verlobung zu verschwenden, der
unmittelbare Eindruck K.s, der doch allein vor ihr stand, war für sie
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik