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Kapitel
K. blieb mit etwas erstauntem Gesicht zurück, Olga lachte über ihn, zog ihn
zur Ofenbank, sie schien wirklich glücklich zu sein darüber, daß sie jetzt mit
ihm allein hier sitzen konnte, aber es war ein friedliches Glück, von
Eifersucht war es gewiß nicht getrübt. Und gerade dieses Fernsein von
Eifersucht und daher auch von jeglicher Strenge tat K. wohl; gern sah er in
diese blauen, nicht lockenden, nicht herrischen, sondern schüchtern ruhenden,
schüchtern standhaltenden Augen. Es war, als hätten ihn für alles dieses hier
die Warnungen Friedas und der Wirtin nicht empfänglicher, aber
aufmerksamer und findiger gemacht. Und er lachte mit Olga, als diese sich
wunderte, warum er gerade Amalia gutmütig genannt habe, Amalia sei
mancherlei, nur gutmütig sei sie eigentlich nicht. Worauf K. erklärte, das Lob
habe natürlich ihr, Olga, gegolten, aber Amalia sei so herrisch, daß sie sich
nicht nur alles aneigne, was in ihrer Gegenwart gesprochen werde, sondern
daß man ihr auch freiwillig alles zuteile. »Das ist wahr«, sagte Olga, ernster
werdend, »wahrer, als du glaubst. Amalia ist jünger als ich, jünger auch als
Barnabas, aber sie ist es, die in der Familie entscheidet, im Guten und im
Bösen; freilich, sie trägt es auch mehr als alle, das Gute wie das Böse.« K.
hielt das für übertrieben, eben hatte doch Amalia gesagt, daß sie sich zum
Beispiel um des Bruders Angelegenheiten nicht kümmere, Olga dagegen alles
darüber wisse. »Wie soll ich es erklären?« sagte Olga. »Amalia kümmert sich
weder um Barnabas noch um mich, sie kümmert sich eigentlich um
niemanden außer um die Eltern, sie pflegt sie bei Tag und Nacht, jetzt hat sie
wieder nach ihren Wünschen gefragt und ist in die Küche für sie kochen
gegangen, hat sich ihretwegen überwunden aufzustehen, denn sie ist schon
seit Mittag krank und lag hier auf der Bank. Aber obwohl sie sich nicht um
uns kümmert, sind wir von ihr abhängig, so, wie wenn sie die Älteste wäre,
und wenn sie uns in unseren Dingen riete, würden wir ihr gewiß folgen, aber
sie tut es nicht, wir sind ihr fremd. Du hast doch viel Menschenerfahrung, du
kommst aus der Fremde; scheint sie dir nicht auch besonders klug?« –
»Besonders unglücklich scheint sie mir«, sagte K., »aber wie stimmt es mit
eurem Respekt vor ihr überein, daß zum Beispiel Barnabas diese Botendienste
tut, die Amalia mißbilligt, vielleicht sogar mißachtet?« »Wenn er wüßte, was
er sonst tun sollte, er würde den Botendienst, der ihn gar nicht befriedigt,
sofort verlassen.« – »Ist er denn nicht ausgelernter Schuster?« fragte K.
»Gewiß«, sagte Olga, »er arbeitet ja auch nebenbei für Brunswick und hätte,
wenn er wollte, Tag und Nacht Arbeit und reichlichen Verdienst.« – »Nun
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Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik