Seite - 142 - in Das Schloss
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Barnabas daran, daß der Beamte, der dort als Klamm bezeichnet wird,
wirklich Klamm ist?« »Olga«, sagte K., »du willst doch nicht scherzen, wie
kann über Klamms Aussehen ein Zweifel bestehen, es ist doch bekannt, wie
er aussieht, ich selbst habe ihn gesehen.« – »Gewiß nicht, K.«, sagte Olga.
»Scherze sind es nicht, sondern meine allerernstesten Sorgen. Doch erzähle
ich es dir nicht, um mein Herz zu erleichtern und deines etwa zu beschweren,
sondern weil du nach Barnabas fragtest, Amalia mir den Auftrag gab, zu
erzählen, und weil ich glaube, daß es auch für dich nützlich ist, Genaueres zu
wissen. Auch wegen Barnabas tue ich es, damit du nicht allzu große
Hoffnungen auf ihn setzt, er dich enttäuscht und dann selbst unter deiner
Enttäuschung leidet. Er ist sehr empfindlich; er hat zum Beispiel heute nacht
nicht geschlafen, weil du gestern abend mit ihm unzufrieden warst; du sollst
gesagt haben, daß es sehr schlimm für dich ist, daß du nur einen solchen
Boten wie Barnabas hast. Die Worte haben ihn um den Schlaf gebracht. Du
selbst wirst wohl von seinen Aufregungen nicht viel gemerkt haben,
Schloßboten müssen sich sehr beherrschen. Aber er hat es nicht leicht, selbst
mit dir nicht. Du verlangst ja in deinem Sinn gewiß nicht zuviel von ihm, du
hast bestimmte Vorstellungen vom Botendienst mitgebracht, und nach ihnen
bemißt du deine Anforderungen. Aber im Schloß hat man andere
Vorstellungen vom Botendienst, sie lassen sich mit deinen nicht vereinen,
selbst wenn sich Barnabas gänzlich dem Dienst opferte, wozu er leider
manchmal bereit scheint. Man müßte sich ja fügen, dürfte nichts dagegen
sagen, wäre nur nicht die Frage, ob es wirklich Botendienst ist, was er tut. Dir
gegenüber darf er natürlich keinen Zweifel darüber aussprechen; es hieße für
ihn, seine eigene Existenz untergraben, wenn er das täte, Gesetze grob
verletzen, unter denen er ja noch zu stehen glaubt, und selbst mir gegenüber
spricht er nicht frei, abschmeicheln, abküssen muß ich ihm seine Zweifel, und
selbst dann wehrt er sich noch zuzugeben, daß die Zweifel Zweifel sind. Er
hat etwas von Amalia im Blut. Und alles sagt er mir gewiß nicht, obwohl ich
seine einzige Vertraute bin. Aber über Klamm sprechen wir manchmal, ich
habe Klamm noch nicht gesehen – du weißt, Frieda liebt mich wenig und
hätte mir den Anblick nie gegönnt -, aber natürlich ist sein Aussehen im Dorf
bekannt, einzelne haben ihn gesehen, alle von ihm gehört, und es hat sich aus
dem Augenschein, aus Gerüchten und auch manchen fälschlichen
Nebenabsichten ein Bild Klamms ausgebildet, das wohl in den Grundzügen
stimmt. Aber nur in den Grundzügen. Sonst ist es veränderlich und vielleicht
nicht einmal so veränderlich wie Klamms wirkliches Aussehen. Er soll ganz
anders aussehen, wenn er ins Dorf kommt, und anders, wenn er es verläßt,
anders, ehe er Bier getrunken hat, anders nachher, anders im Wachen, anders
im Schlafen, anders allein, anders im Gespräch und, was hiernach
verständlich ist, fast grundverschieden oben im Schloß. Und es sind schon
selbst innerhalb des Dorfes ziemlich große Unterschiede, die berichtet
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik