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zwischen beiden, aber eine von Barnabas immer fort angezweifelte
Ähnlichkeit. Und alles spricht für seine Zweifel. Klamm sollte hier in einem
allgemeinen Raum, zwischen anderen Beamten, den Bleistift hinter dem Ohr,
sich drängen müssen? Das ist doch höchst unwahrscheinlich. Barnabas pflegt,
ein wenig kindlich, manchmal – dies ist aber schon eine zuversichtliche
Laune – zu sagen: Der Beamte sieht ja Klamm sehr ähnlich; würde er in einer
eigenen Kanzlei sitzen, am eigenen Schreibtisch, und wäre an der Tür sein
Name – ich hätte keine Zweifel mehr. Das ist kindlich, aber doch auch
verständig. Noch viel verständiger allerdings wäre es, wenn Barnabas sich,
wenn er oben ist, gleich bei mehreren Leuten erkundigte, wie sich die Dinge
wirklich verhalten; es stehen doch seiner Angabe nach genug Leute in dem
Zimmer herum. Und wären auch ihre Angaben nicht viel verläßlicher als die
Angabe jenes, der ungefragt ihm Klamm gezeigt hat, es müßten sich doch
zumindest aus ihrer Mannigfaltigkeit irgendwelche Anhaltspunkte,
Vergleichspunkte ergeben. Es ist das nicht mein Einfall, sondern der Einfall
des Barnabas, aber er wagt nicht, ihn auszuführen; aus Furcht, er könnte
durch irgendwelche ungewollte Verletzung unbekannter Vorschriften seine
Stelle verlieren, wagt er niemanden anzusprechen, so unsicher fühlt er sich;
diese doch eigentlich jämmerliche Unsicherheit beleuchtet mir seine Stellung
schärfer als alle Beschreibungen. Wie zweifelhaft und drohend muß ihm dort
alles erscheinen, wenn er nicht einmal zu einer unschuldigen Frage den Mund
aufzutun wagt. Wenn ich das überlege, klage ich mich an, daß ich ihn allein in
jenen unbekannten Räumen lasse, wo es derart zugeht, daß sogar er, der eher
waghalsig als feig ist, dort vor Furcht wahrscheinlich zittert.«
»Hier, glaube ich, kommst du zu dem Entscheidenden«, sagte K. »Das ist
es. Nach allem, was du erzählt hast, glaube ich, jetzt klar zu sehen. Barnabas
ist zu jung für diese Aufgabe. Nichts von dem, was er erzählt, kann man ohne
weiteres ernst nehmen. Da er oben vor Furcht vergeht, kann er dort nicht
beobachten, und zwingt man ihn, hier dennoch zu berichten, erhält man
verwirrte Märchen. Ich wundere mich nicht darüber. Die Ehrfurcht vor der
Behörde ist euch hier eingeboren, wird euch weiter während des ganzen
Lebens auf die verschiedensten Arten und von allen Seiten eingeflößt, und ihr
selbst helft dabei mit, wie ihr nur könnt. Doch sage ich im Grunde nichts
dagegen; wenn eine Behörde gut ist, warum sollte man vor ihr nicht Ehrfurcht
haben. Nur darf man dann nicht einen unbelehrten Jüngling wie Barnabas, der
über den Umkreis des Dorfes nicht hinausgekommen ist, plötzlich ins Schloß
schicken und dann wahrheitsgetreue Berichte von ihm verlangen wollen und
jedes seiner Worte wie ein Offenbarungswort untersuchen und von der
Deutung das eigene Lebensglück abhängig machen. Nichts kann verfehlter
sein. Freilich habe auch ich, nicht anders als du, mich von ihm beirren lassen
und sowohl Hoffnungen auf ihn gesetzt, als Enttäuschungen durch ihn
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik