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erkennen), nahm an der Übergabe der Spritze teil; es waren natürlich auch
noch andere aus dem Schloß gekommen, Beamte und Dienerschaft, und
Sortini war, wie es seinem Charakter entspricht, ganz im Hintergrunde. Es ist
ein kleiner, schwacher, nachdenklicher Herr; etwas, was allen, die ihn
überhaupt bemerkten, auffiel, war die Art, wie sich bei ihm die Stirn in Falten
legte, alle Falten – und es war eine Menge, obwohl er gewiß nicht mehr als
vierzig ist – zogen sich nämlich geradewegs fächerartig über die Stirn zur
Nasenwurzel hin, ich habe etwas Derartiges nie gesehen. Nun, das war also
jenes Fest. Wir, Amalia und ich, hatten uns schon seit Wochen darauf gefreut,
die Sonntagskleider waren zum Teil neu zurechtgemacht, besonders das Kleid
Amalias war schön, die weiße Bluse vorn hoch aufgebauscht, eine
Spitzenreihe über der anderen, die Mutter hatte alle ihre Spitzen dazu geborgt,
ich war damals neidisch und weinte vor dem Fest die halbe Nacht durch. Erst
als am Morgen die Brückenhofwirtin uns zu besichtigen kam… « – »Die
Brückenhofwirtin?« fragte K. »Ja«, sagte Olga, »sie war sehr mit uns
befreundet, sie kam also, mußte zugeben, daß Amalia im Vorteil war, und
borgte mir deshalb, um mich zu beruhigen, ihr eigenes Halsband aus
böhmischen Granaten. Als wir dann aber ausgehfertig waren, Amalia vor mir
stand, wir sie alle bewunderten und der Vater sagte: ›Heute, denkt an mich,
bekommt Amalia einen Bräutigam‹, da, ich weiß nicht warum, nahm ich mir
das Halsband, meinen Stolz, ab, und hing es Amalia um, gar nicht neidisch
mehr. Ich beugte mich eben vor ihrem Sieg, und ich glaubte, jeder müsse sich
vor ihr beugen, vielleicht überraschte uns damals, daß sie anders aussah als
sonst, denn eigentlich schön war sie ja nicht, aber ihr düsterer Blick, den sie
in dieser Art seitdem behalten hat, ging hoch über uns hinweg, und man
beugte sich fast tatsächlich und unwillkürlich vor ihr. Alle bemerkten es, auch
Lasemann und seine Frau, die uns abholen kamen.« – »Lasemann?« fragte K.
»Ja, Lasemann«, sagte Olga. »Wir waren doch sehr angesehen, und das Fest
hätte zum Beispiel nicht gut ohne uns anfangen können, denn der Vater war
dritter Übungsleiter der Feuerwehr.« – »So rüstig war der Vater noch?« fragte
K. »Der Vater?« fragte Olga, als verstehe sie nicht ganz. »Vor drei Jahren war
er noch gewissermaßen ein junger Mann; er hat zum Beispiel bei einem
Brand im Herrenhof einen Beamten, den schweren Galater, im Laufschritt auf
dem Rücken hinausgetragen. Ich bin selbst dabeigewesen, es war zwar keine
Feuergefahr, nur das trockene Holz neben einem Ofen fing zu rauchen an,
aber Galater bekam Angst, rief aus dem Fenster um Hilfe, die Feuerwehr
kam, und mein Vater mußte ihn hinaustragen, obwohl schon das Feuer
gelöscht war. Nun, Galater ist ein schwer beweglicher Mann und muß in
solchen Fällen vorsichtig sein. Ich erzähle es nur des Vaters wegen, viel mehr
als drei Jahre sind seitdem nicht vergangen, und nun sieh, wie er dort sitzt.«
Erst jetzt sah K., daß Amalia schon wieder in der Stube war, aber sie war weit
entfernt beim Tisch der Eltern, sie fütterte dort die Mutter, welche die
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik