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verkleinerst. Amalias Tat ist merkwürdig, aber je mehr du von dieser Tat
erzählst, desto weniger läßt es sich entscheiden, ob sie groß oder klein, klug
oder töricht, heldenhaft oder feig gewesen ist, ihre Beweggründe hält Amalia
in ihrer Brust verschlossen, niemand wird sie ihr entreißen. Frieda dagegen
hat gar nichts Merkwürdiges getan, sondern ist nur ihrem Herzen gefolgt, für
jeden, der sich gutwillig damit befaßt, ist das klar, jeder kann es nachprüfen,
für Klatsch ist kein Raum. Ich aber will weder Amalia heruntersetzen noch
Frieda verteidigen, sondern dir nur klarmachen, wie ich mich zu Frieda
verhalte und wie jeder Angriff gegen Frieda gleichzeitig ein Angriff gegen
meine Existenz ist. Ich bin aus eigenem Willen hierhergekommen, und aus
eigenem Willen habe ich mich hier festgehakt, aber alles, was seither
geschehen ist, und vor allem meine Zukunftsaussichten – so trübe sie auch
sein mögen, immerhin, sie bestehen -, alles dies verdanke ich Frieda, das läßt
sich nicht wegdiskutieren. Ich war hier zwar als Landvermesser
aufgenommen, aber das war nur scheinbar, man spielte mit mir, man trieb
mich aus jedem Haus, man spielt auch heute mit mir, aber wieviel
umständlicher ist das, ich habe gewissermaßen an Umfang gewonnen, und
das bedeutet schon etwas, ich habe, so geringfügig das alles ist, doch scheint
ein Heim, eine Stellung und wirkliche Arbeit, ich habe eine Braut, die, wenn
ich andere Geschäfte habe, mir die Berufsarbeit abnimmt, ich werde sie
heiraten und Gemeindemitglied werden, ich habe außer den amtlichen auch
noch eine, bisher freilich unausnützbare, persönliche Beziehung zu Klamm.
Das ist doch wohl nicht wenig? Und wenn ich zu euch komme, wen begrüßt
ihr? Wem vertraust du die Geschichte euerer Familie an? Von wem erhoffst
du die Möglichkeit, sei es auch nur die winzige, unwahrscheinliche
Möglichkeit irgendeiner Hilfe? Doch wohl nicht von mir, dem
Landvermesser, den zum Beispiel noch vor einer Woche Lasemann und
Brunswick mit Gewalt aus ihrem Haus gedrängt haben, sondern du erhoffst
das von dem Mann, der schon irgendwelche Machtmittel hat, diese
Machtmittel aber verdanke ich Frieda, Frieda, die so bescheiden ist, daß sie,
wenn du sie nach etwas Derartigem zu fragen versuchen wirst, gewiß nicht
das geringste davon wird wissen wollen. Und doch scheint es nach dem
allem, daß Frieda in ihrer Unschuld mehr getan hat als Amalia in allem ihrem
Hochmut; denn sieh, ich habe den Eindruck, daß du Hilfe für Amalia suchst.
Und von wem? Doch eigentlich von keinem anderen als von Frieda?« –
»Habe ich wirklich so häßlich von Frieda gesprochen?« sagte Olga. »Ich
wollte es gewiß nicht und glaube es auch nicht getan zu haben, aber möglich
ist es, unsere Lage ist derart, daß wir mit aller Welt zerfallen sind, und fangen
wir zu klagen an, reißt es uns fort, wir wissen nicht, wohin. Du hast auch
recht, es ist ein großer Unterschied jetzt zwischen uns und Frieda, und es ist
gut, ihn einmal zu betonen. Vor drei Jahren waren wir Bürgermädchen und
Frieda, die Waise, Magd im Brückenhof, wir gingen an ihr vorüber, ohne sie
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik