Seite - 165 - in Das Schloss
Bild der Seite - 165 -
Text der Seite - 165 -
seinen Worten niemals sehr beherrschen konnte, gar zu Hause nicht, selbst der
Vater hat Amalia auch in den schlimmsten Zeiten kein Wort des Vorwurfs
gesagt. Und das nicht etwa deshalb, weil er Amalias Vorgehen gebilligt hätte;
wie hätte er, ein Verehrer Sortinis, es billigen können; nicht von der Ferne
konnte er es verstehen; sich und alles, was er hatte, hätte er Sortini wohl gern
zum Opfer gebracht, allerdings nicht so, wie es jetzt wirklich geschah, unter
Sortinis wahrscheinlichem Zorn. Wahrscheinlichem Zorn, denn wir erfuhren
nichts mehr von Sortini; war er bisher zurückgezogen gewesen, so war er es
von jetzt ab, als sei er überhaupt nicht mehr. Und nun hättest du Amalia sehen
sollen in jener Zeit. Wir alle wußten, daß keine ausdrückliche Strafe kommen
werde. Man zog sich nur von uns zurück. Die Leute hier wie auch das Schloß.
Während man aber den Rückzug der Leute natürlich merkte, war vom Schloß
gar nichts zu merken. Wir hatten ja früher auch keine Fürsorge des Schlosses
gemerkt, wie hätten wir jetzt einen Umschwung merken können. Diese Ruhe
war das Schlimmste. Bei weitem nicht der Rückzug der Leute, sie hatten es ja
nicht aus irgendeiner Überzeugung getan, hatten vielleicht auch gar nichts
Ernstliches gegen uns, die heutige Verachtung bestand noch gar nicht, nur aus
Angst hatten sie es getan, und jetzt warteten sie, wie es weiter ausgehen
werde. Auch Not hatten wir noch keine zu fürchten, alle Schuldner hatten uns
gezahlt, die Abschlüsse waren vorteilhaft gewesen, was uns an Lebensmitteln
fehlte, darin halfen uns im geheimen Verwandte aus, es war leicht, es war ja
in der Erntezeit, allerdings Felder hatten wir keine, und mitarbeiten ließ man
uns nirgends, wir waren zum erstenmal im Leben fast zum Müßiggang
verurteilt. Und nun saßen wir beisammen, bei geschlossenen Fenstern, in der
Hitze des Juli und August. Es geschah nichts. Keine Vorladung, keine
Nachricht, kein Bericht, kein Besuch, nichts.« – »Nun«, sagte K., »da nichts
geschah und auch keine ausdrückliche Strafe zu erwarten war, wovor habt ihr
euch gefürchtet? Was seid ihr doch für Leute!« – »Wie soll ich es dir
erklären?« sagte Olga. »Wir fürchteten nichts Kommendes, wir litten schon
nur unter dem Gegenwärtigen, wir waren mitten in der Bestrafung darin. Die
Leute im Dorf warteten ja nur darauf, daß wir zu ihnen kämen, daß der Vater
seine Werkstatt wieder aufmachte, daß Amalia, die sehr schöne Kleider zu
nähen verstand, allerdings nur für die Vornehmsten, wieder zu Bestellungen
käme, es tat ja allen Leuten leid, was sie getan hatten; wenn im Dorf eine
angesehene Familie plötzlich ganz ausgeschaltet wird, hat jeder irgendeinen
Nachteil davon, sie hatten, als sie sich von uns lossagten, nur ihre Pflicht zu
tun geglaubt, wir hätten es an ihrer Stelle auch nicht anders getan. Sie hatten
ja auch nicht genau gewußt, worum es sich gehandelt hatte, nur der Bote war,
die Hand voll Papierfetzen, in den Herrenhof zurückgekommen. Frieda hatte
ihn ausgehen und dann wiederkommen gesehen, ein paar Worte mit ihm
gesprochen und das, was sie erfahren hatte, gleich verbreitet; aber wieder gar
nicht aus Feindseligkeit gegen uns, sondern einfach aus Pflicht, wie es im
165
zurück zum
Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik