Seite - 172 - in Das Schloss
Bild der Seite - 172 -
Text der Seite - 172 -
großen Überlegungen einlassen, er mußte schon im Äußerlichsten die
Unmöglichkeit klar erkennen. Wenn die Beamten ins Dorf fahren oder zurück
ins Schloß, so sind das doch keine Lustfahrten, in Dorf und Schloß wartet
Arbeit auf sie, daher fahren sie im schärfsten Tempo. Es fällt ihnen auch nicht
ein, aus dem Wagenfenster zu schauen und draußen Gesuchsteller zu suchen,
sondern die Wagen sind vollgepackt mit Akten, welche die Beamten
studieren.«
»Ich habe aber«, sagte K., »das Innere eines Beamtenschlittens gesehen, in
welchem keine Akten waren.« In der Erzählung Olgas eröffnete sich ihm eine
so große, fast unglaubwürdige Welt, daß er es sich nicht versagen konnte, mit
seinen kleinen Erlebnissen an sie zu rühren, um sich ebenso von ihrem Dasein
als auch von dem eigenen deutlicher zu überzeugen.
»Das ist möglich«, sagte Olga, »dann ist es aber noch schlimmer, dann hat
der Beamte so wichtige Angelegenheiten, daß die Akten zu kostbar oder zu
umfangreich sind, um mitgenommen werden zu können, solche Beamte
lassen dann Galopp fahren. Jedenfalls, für den Vater kann keiner Zeit
erübrigen. Und außerdem: Es gibt mehrere Zufahrten ins Schloß. Einmal ist
die eine in Mode, dann fahren die meisten dort, einmal eine andere, dann
drängt sich alles hin. Nach welchen Regeln dieser Wechsel stattfindet, ist
noch nicht herausgefunden worden. Einmal um acht Uhr morgens fahren alle
auf einer anderen, zehn Minuten später wieder auf einer dritten, eine halbe
Stunde später vielleicht wieder auf der ersten und dort bleibt es dann den
ganzen Tag, aber jeden Augenblick besteht die Möglichkeit einer Änderung.
Zwar vereinigen sich in der Nähe des Dorfes alle Zufahrtsstraßen, aber dort
rasen schon alle Wagen, während in der Schloßnähe das Tempo noch ein
wenig gemäßigter ist. Aber so wie die Ausfahrordnung hinsichtlich der
Straßen unregelmäßig und nicht zu durchschauen ist, so ist es auch mit der
Zahl der Wagen. Es gibt ja oft Tage, wo gar kein Wagen zu sehen ist; dann
aber fahren sie wieder in Mengen. Und allem diesem gegenüber stell dir nun
unseren Vater vor. In seinem besten Anzug – bald ist es sein einziger – zieht
er jeden Morgen, von unseren Segenswünschen begleitet, aus dem Haus. Ein
kleines Abzeichen der Feuerwehr, das er eigentlich zu Unrecht erhalten hat,
nimmt er mit, um es außerhalb des Dorfes anzustecken, im Dorf selbst
fürchtet er, es zu zeigen, obwohl es so klein ist, daß man es auf zwei Schritte
Entfernung kaum sieht, aber nach des Vaters Meinung soll es sogar geeignet
sein, die vorüberfahrenden Beamten auf ihn aufmerksam zu machen. Nicht
weit vom Zugang zum Schloß ist eine Handelsgärtnerei, sie gehört einem
gewissen Bertuch, er liefert Gemüse ins Schloß, dort auf dem schmalen
Steinpostament des Gartengitters wählte sich der Vater einen Platz. Bertuch
duldete es, weil er früher mit dem Vater befreundet gewesen war und auch zu
seinen treuesten Kundschaften gehört hatte, er hat nämlich einen ein wenig
172
zurück zum
Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik